Uwe Steinberg

Der Fotograf Uwe Steinberg (1942 – 1983)

Werkstatt

Der 1942 geborene Uwe Steinberg gehört neben Sibylle Bergemann (1941-2010) und Christian Borchert (1942-2000) zu den interessantesten Fotografen seiner Generation[1]. Diese drei sind unterschiedliche Wege gegangen, haben ihre Liebe zur Fotografie und ihren Platz oder auch ihre Plätze in der DDR gesucht, eingenommen und wieder verlassen, haben Angebote wahrgenommen und die Grenzen ihres offiziellen Tuns im Laufe der Zeit erkannt und unterschiedlich darauf reagiert. Es ist außerordentlich erstaunlich, wie, bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Arbeitsweisen und unter den Verhältnissen der DDR-Medien- und vor allem Kontrolllandschaft, sie ihre eigenständigen, qualitativ hochwertigen Bildwelten entwickelt haben. 

            Sie sind alle drei vor ihrer Zeit gestorben. Alle drei haben ein Werk hinterlassen. Uwe Steinberg ging als erster. Er starb mit 41 Jahren 1983 an den Folgen eines Verkehrsunfalls in Budapest.

Wir können den biografischen Hintergrund Uwe Steinbergs nicht übergehen, wenn wir, wie ich glaube, verstehen wollen, warum er welche Haltung zur Fotografie und zur Gesellschaft eingenommen hat.

            1942 in Breslau geboren wuchs er in einem kommunistischen Haushalt auf. Der Vater, Werner Steinberg, war Schriftsteller und Mitglied der KPD. Aus der Festung Breslau flieht die Familie 1944 mit dem zwei Jahre jüngeren Bruder Detlev Richtung Westen. Uwe Steinberg  wird in Hessen eingeschult. Hier, so heißt es, soll er angefangen haben zu fotografieren. 1956 wird in der Bundesrepublik Adenauers das KPD-Verbot erlassen und Werner Steinberg zieht mit der Familie in den Osten. Über Leipzig gelangen sie nach Dessau. Wir schreiben das Jahr 1959.     Auf der Suche nach Gleichgesinnten wurde Uwe Steinberg 1960/61 Mitglied der Fotoleistungsgruppe „novum“ des Kulturbundes[2] in Dessau. Im Jahr 1961, er hat gerade sein Abitur gemacht, findet er einen Einstieg als Praktikant bei ADN[3]-Zentralbild[4] in Berlin, der einzigen in der DDR zugelassenen Nachrichten- und Bildagentur.

            In dieser Zeit, er ist 19/20 Jahre alt, orientiert er sich an aktueller polnischer Fotografie. Die darin zu findende Subjektivität interessiert ihn. Kollegen waren ob dieser von ihm gemachten Bilder schockiert, wird ihm zugetragen. Es entsteht die Meinung bei ADN, er sei mit dieser Haltung in einer sozialistischen Bildagentur fehl am Platz. Man spannt ihn jedoch mit Horst Sturm[5], dem zu der Zeit besten Fotografen der Agentur zusammen, der eine Art Mentorschaft für ihn übernimmt. Diejenigen, die das Talent in ihm erkannten, hatten sich offensichtlich durchgesetzt. Uwe Steinberg macht in der Folge eine Ausbildung als Bildreporter.

            Langsam verändert sich Steinbergs Auffassung vom Medium Fotografie. Mit der propagierten „Grundaufgabe der Fotografie in der sozialistischen Gesellschaft“ und der damit im Zusammenhang stehenden Massenbeeinflussung kann er lange nichts anfangen. Aber er ist zunehmend bereit, sich und seine Fotografie in den Dienst einer Gesellschaft, die er abbilden aber auch verändern will, zu stellen.

Pressefotografie in der DDR befand sich in einem ständigen Zwiespalt zwischen der Indienstnahme bei der Alltags/Auftragsarbeit und der künstlerischer Freiheit bei den wenigen ideologiefreien Aufträgen. Somit stellte sich nicht selten Selbstzensur ein. Die dabei fehlende Qualität stieß nicht nur bei den jüngeren Fotografen zunehmend auf Kritik. Aus erster Hand erfährt Uwe Steinberg 1965 die endlosen Diskussionen um die Gründung der Fotografengruppe „Signum“[6], die sein Mentor mitgründete. Sie kann als ein Versuch gelten, aus diesem Dilemma herauszukommen. Erfolglos, könnte man sagen. Sie wurde von Funktionären nach nur vier Jahren 1969 aufgelöst.

Doch gleichzeitig fand sich unter aktiver Mitwirkung Uwe Steinbergs eine jüngere Generation von Fotografinnen und Fotografen zusammen, die noch im selben Jahr die „Gruppe Jugendfoto Berlin“[7] gründete. Der Ansatz war der gleiche wie in der Gruppe zuvor: glaubwürdiger Bildjournalismus. Diese Gruppe wird es zehn Jahre geben. Sie löst sich 1979 auf.

Uwe Steinberg war in dieser Zeit zur Neuen Berliner Illustrierten[8] (NBI) gewechselt, kann reisen, macht Bücher. Er fotografiert nun in Farbe und ist mehr und mehr anerkannt. Während er erfolgreich Bildserie um Bildserie abliefert, öffnet sich immer wieder sein subjektiver Blick auf den Gegenstand vor der Kamera, auf überraschende Bildlösungen, auf das Zufällige und auf den einzelnen Menschen. 1979 wird Uwe Steinberg Mitglied im Verband Bildender Künstler der DDR[9] (VBK). Diese Aufnahme bedeutete auch, dass seine Fotografie weit über die Ansprüche alltäglicher Pressefotografie hinausging und dass das von seinen Künstlerkollegen ebenfalls so gesehen wurde.

            Jürgen Hohmuth, ein Fotograf der nächsten Generation, sagt über ihn: „Als junger Fotograf habe ich Uwe Steinberg in den frühen 1980er Jahren kennengelernt. Es war für mich ganz erstaunlich zu sehen, wie er von der Zeitungs- und Zeitschriftenfotoauftragsarbeit einfach umschalten konnte und dann seinen ganz subjektiven, persönlichen Fotografie- und Bildinteressen nachging.“

            Christian Borchert, derselben Generation wie Steinberg zugehörig und Mitglied in der „Gruppe Jugendfoto Berlin“, kann zu dieser Zeit die Ansagen der Bildredakteure in den Zeitungsredaktionen: „Wir und nicht du entscheiden, was wir den Lesern zumuten und wie wir das Leben aussehen lassen“, kaum mehr ertragen, und verabschiedet sich Anfang der 1980er Jahre komplett vom Bildjournalismus und wendet sich eigenen Projekten zu.

            Werkstatt – der Begriff wird Ihnen im Ausstellungstitel aufgefallen sein. Aufgrund des plötzlichen Todes des Fotografen lag uns natürlich kein vom Künstler geordneter Nachlass vor. Aus diesem Konvolut sind alle Schwarz/Weiß-Abzüge, die Sie hier sehen. Es sind allesamt Arbeitsabzüge. Gelegentlich fanden sich kleine Notizen auf den Rückseiten, Nummerierungen, selten Titel, Ort oder Jahr. Das ist ein Grund, warum wir auf jegliche Art von Chronologie des Entstehens der Bilder und auf Betitelungen verzichtet haben. Hier und da treffen sie auf das gleiche Motiv in anderen Zusammenhängen. Der Fotograf probiert, vergrößert, legt Ausschnitte fest und stellt neu zusammen: Auch das verstehen wir unter Werkstatt.

            Wir hoffen mit der Ausstellung einen Einblick in die Arbeitsweise eines Künstlers geben zu können, dessen grundsätzliche Bearbeitung seines Werkes noch aussteht. Das komplette Negativarchiv von Uwe Steinberg liegt zum Beispiel noch ungesichtet im Deutschen Historischen Museum und wartet darauf gehoben zu werden. Wir dürfen gespannt sein.

            In dem uns vorliegenden Konvolut stießen wir auf eine Vielzahl von auf Pappen vormontierter Bildpaare. Wir fanden keinen Hinweis, mit welchem Zweck diese zusammengestellt wurden, wessen Text eventuell dazuzustellen wäre oder ob eine Veröffentlichung vorgesehen war. Das bleibt alles im Dunklen. Aber, wir können einem Fotografen beim Arbeiten zu sehen – was er wie zusammenstellt, wem er sich zuwendet, welche Wichtungen er vornimmt – und auch, was auf den Bildern nicht stattfindet. Auffällig ist, dass jenseits der Prägungen des Kollektivs es doch immer wieder der und die Einzelne ist, denen er sich zuwendet; und zwar mit großer Empathie, ohne Effekt und ohne Pathos.

            Besonders, wir haben es Seite für Seite reproduziert und an die Wand gebracht, möchte ich Sie auf das unikate Foto-Text-Buch „ein wenig mensch“ hinweisen, das in der Frühzeit seines Wirkens und zwar 1963 von ihm geschaffen wurde. Steinberg war da 21 Jahre alt. Ein Textausschnitt Wolfgang Borcherts begleitet, kommentiert, befragt montierte schwarz/weiße Fotografien und umgekehrt. Der Text kreist um den Sinn menschlicher Existenz: wer sind wir, warum sind wir, wofür sind wir? Er stellt Fragen und bleibt vage. Uwe Steinberg unternimmt den Versuch, mit seinen Bild-Text-Kombinationen Antworten zu geben. Das Fragezeichen des Eingangssatzes des Buches „sind wir ohne sinn“ ist hier durchgestrichen. Die beiden letzten Worte am Ende des Buches entlassen uns dann in die Verantwortung: „Du? Du!“

            Dieses Buch stellt in der Fotografiegeschichte der DDR als auch in der Geschichte der Buchkunst ein absolutes Novum dar. Uwe Steinberg muss gewusst haben, dass es so nicht gedruckt werden würde. Diente es also als eine Art Selbstvergewisserung? Im Jahr 1975 schreibt er rückblickend, dass er in seiner fotografischen Frühzeit sehr beeindruckt von Veröffentlichungen in polnischen Publikationen war. Er spricht dort von „reizvollen Bildern von allen Winkeln gesehen“. Ist dieses Buch seine Antwort darauf oder doch zumindest der Versuch, dort ästhetisch anzukommen?

            Meine Damen und Herren, wir wissen nicht, welchen Weg Uwe Steinberg unter den Bedingungen und der Atmosphäre des Stillstandes, des Auf-der-Stelle-Tretens der letzten Jahre in der DDR gegangen wäre und auch nicht, was er danach gemacht hätte. Es ist nur aus einigen angefangenen, unfertigen Projekten abzulesen, das sich seine Subjektivität und seine frühen Versuche mehr und mehr Bahn brachen.

            Genau das interessierte uns.

                                                                                              Vielen Dank!

Uwe Warnke, Berlin 2023

Eine Ausstellung im Willy-Brandt-Haus, Berlin, 04.03. – 07.05.2023


[1] Natürlich sind da noch Helga Paris (*1938) und Roger Melis (1940-2009) zu nennen.

[2] Kulturelle Massenorganisation in der SBZ und DDR. 1945 als „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ von Johannes R. Becher und anderen Intellektuellen gegründet. 1990 aufgelöst. Wird als Verein fortgeführt.

[3] ADN. Der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN) war neben Panorama DDR die einzige zugelassene Nachrichten- und Bildagentur der DDR.

[4] Zentralbild (abgekürzt ZB) wurde 1952 gegründet. Sie war fortan bis zur Wiedervereinigung die einzige Bildagentur der DDR. Sie wurde ab 1956 ein Teilbereich des ADN. 1991 wurde Zentralbild an die dpa verkauft und besteht bis heute als eigenständige Foto- und Bildagentur unter dem Dach der dpa fort. Das Archiv von Zentralbild wurde in das Bundesarchiv überführt.

[5] Horst Sturm (1923-2015) war ein deutscher Fotograf, langjähriger Bildreporter bei ADN und einer der erfolgreichsten Fotoreporter der DDR.

[6] Signum. Eine von 1965 bis 1969 bestehende Gruppe, die die renommiertesten Pressefotografen der DDR versammelte. Anfangs 14 später 21 Mitglieder. Sie wurde nach wachsender Kritik von Funktionären aufgelöst.

[7] Auch Gruppe Jugendfoto genannt, bestand aus den Fotografen Christian Borchert, Ulrich Burchert, Heinz Dargelis, Volker Hedemann, Martina Kaiser, Eberhard Klöppel, Peter Meißner, Bernd-Horst Sefzik, Detlev Steinberg, Uwe Steinberg, Wulf Olm und Manfred Uhlenhut. Die Gruppe gehörte zum Zentralrat der FDJ, der Jugendorganisation der DDR. Die Gruppe löste sich 1979 auf.

[8] NBI. Eine 1945 gegründete und die bis dahin erschienene Berliner Illustrierte Zeitung fortführende Illustrierte mit breitem kulturpolitischem Spektrum.

[9] VBK. Verband Bildender Künstler der DDR, eine berufsständische Organisation und Interessenvertretung für Künstler, 1950 innerhalb des Kulturbundes gegründet. Existierte als eigenständige Künstlerorganisation von 1952–1990 mit Sitz in Ostberlin. Die Fotografen waren in der Sektion Gebrauchsgrafik organisiert. Gründung einer eigenständigen Arbeitsgruppe Fotografie erfolgte erst 1981.

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