uwe warnke
safe
es war einer dieser angenehm zerredeten abende. hitze in berlin, die das draußensitzen in die nacht verlängerte. vollzogene rituale, die nicht die kneipe oder den abend suchten, aber dem selbstverständnis dienten. genauso genommen waren sich diese begegnungen gleich. niemand stieß sich daran. wer sollten dies ändern? warum? es funktionierte, wurde gebraucht und geradezu zelebriert. zu zweit und dies ausschließlich, trugen wir die neuen, gehörten und gelesene informationen zusammen, ordnete sie ins eigene vorhandene muster ein, bestätigten einander die urteile und vorurteile, festigten den gewählten standpunkt und konnte schlussendlich nicht glauben, dass die anderen, im grunde alle anderen, dieser, unserer meinung, also der offenkundigen, nicht auch waren und folgerten, dass sie sich entweder etwas vormachten, bewusst oder unbewusst war immer ein schönes streitthema, was musste hierbei allerdings offen bleiben, oder lobbyisten waren, ergo interessen vertraten die offensichtlich waren, aber dennoch der öffentlichkeit vorenthalten wurden, wenn sie so wollen verschwiegen, dass sie genau genommen logen. so ging es immer und es war angenehm so. erkenntnis lieferte die nüchterne analyse, die eigene haltung wurde bestätigt. daraus zu ziehende schlussfolgerungen waren nicht von nöten. hier setzte nun hohn ein, der um so bitterer war, als die unmöglichkeit eigenen handelns und dessen einflussnahme auf das diskutierte geschehen offensichtlich und der spott zwar und wie immer ein ziel hatte, es aber nie, zumindest nicht direkt erreichte. häme und distanz blieben übrig. das war insofern tragisch, als dass das objekt des gesprächs nicht der inhalt einer petrischale war. vielleicht zogen wir gerade aus dem vorgeblichen nicht-beteiligt-sein unsere kraft und nüchternheit. es ließ sich allerdings auch nicht drumrum reden, dass das was übrig blieb, depression genannt werden konnte. ein stillstand der raum fraß, den man betäuben konnte, wenn man denn wollte, was wir jedoch eher weniger geschehen ließen. es war soweit alles gesagt. wir hatten das gespräch über an den straßentischen der kneipe gesessen. die nacht hatte milde begonnen, wich dann aber doch kleinlaut der kälte, die bislang noch die mainächte ausmachte. das wir die letzten gäste waren hatte uns und den wirt nicht gestört, wurde dann aber auch durchaus passend und zum anlass genommen, den heimweg anzutreten. erst noch ein stück gemeinsamen weges, vorausschauend würde dann die trennung desselben mit einem gruß in die gute nacht folgen.
wir waren bei der wahl des bier ausschenkenden etablissements an den rand einer eher dunklen ecke des friedrichshains geraten: hier begann ein gebiet noch nicht vollständig durchsanierter wohnhäuser, dem ein sogenannter grauer markt, ein eben undurchschaubares gewerbe an den rändern der berliner eisenbahnstrecken gegenüber lag; dazwischen unbebaute, zumindest ungeordnete, irgendwie freie brachen, die in beschlag genommen wurden, wenn nicht von der natur, dann von einer gruppe die sie brauchte, immer in erwartung eines vertreters des gesetzgebers, der vorgab einer mit den vermeintlichen volksvertretern abgestimmt und sogenannt vernünftigen nutzung dieser flächen entgegenzusehen. wir nahmen davon allerdings kaum noch etwas zur kenntnis. der rückweg führte nun mal dort entlang, zuerst noch an besagten häusern und dann ins dunkle. es war nichts beunruhigendes daran. man war hinreichend aufmerksam. das genügte. ein stimmengewirr, dass sich im fortgang als englisch gesprochenes ausmachen ließ und weiblichen ursprungs, begleitete, besser, folgte uns und war immer besser zu verstehen, je dunkler der weg wurde. als wir den schritt verlangsamten, um uns zu verabschieden wurden wir fast überrannt von drei jungen amerikanerinnen, wie wir nun sehen und hören konnten, die keinen hehl aus ihrer besorgnis machten, ihren heimweg verfehlt, die orientierung verloren und nun auch noch dem verlust ihre körperlichen unversehrtheit in dieser gegend entgegenzusehen glaubten. „we have to go …“ „where is the tram …“ „what is this for an area?“ „which way we have …“ „taxi?“ die fragen ließen sich alle beantworten, lediglich die angst, die deutlich aus ihnen sprach und die nicht von ihnen wich, als wir ihnen längst den weg oder auch die möglichen wege zeigten, ließen sie sich nicht nehmen. sie mussten den gegangenen weg zurück. das hieß, zurück durch das dunkel, zu dritt und gewissermaßen allein, während, soweit zu sehen war, kein mensch sich noch blicken ließ, der sein heil oder heim suchte. ein taxi war hier nicht zu kriegen und auf die idee, mit dem handy eines zu rufen, kamen wir gar nicht. es war wohl auch beherrschtheit auf unserer seite, die sich von der uns dargebrachten aufgeregtheit nicht anstecken ließ. diese gelassenheit beruhte auf erfahrung, ihre drei ängste sicherlich auch. Um ehrlich zu sein amüsierte uns diese begegnung ein wenig und natürlich waren wir der meinung, das ihre ängste hier nicht hergehörten. wir waren männer. sie waren frauen. wir waren ost- und westdeutsch sozialisiert, sie waren nordamerikanerinnen. vielleicht hatten wir dieselben filme im kopf, aber unsere in den jeweiligen wirklichkeiten gemachten erfahrungen waren so unterschiedlich, das die offensichtliche fremdheit, die hier zwischen uns auf dem asphalt lag, ebenso wenig zu überbrücken gewesen wäre, wie der versuch, hier zwischen nun zu vermitteln, gar nicht erst unternommen wurde. mit einer uns eigenen ruhe wiesen wir bestimmt auf den von ihnen erneut anzutretenden weg. sie wollten sich und uns nicht weiter aufhalten und setzten ihren suchenden heimweg fort. wir wurden nicht gebeten, sie zu begleiten. sie betraten nach wenigen metern fußweg auf dem bürgersteig, den sie als eingeklemmt zwischen zäunen, abgestellten kleinlastern und pkw erleben mussten, die straßenmitte, vermutlich des besseren überblicks, auch wohl des rechtzeitigen erkennens des bösen wegen. wir sahen nicht lang hinterher, hörten auch nichts auffälliges, wandten unsere aufmerksamkeit nun auf den abschied. ein gruß in die nacht und ein letztes stück allein zu gehenden weges. natürlich war das nicht gefährlich hier. sicherlich könnte, und eben auch hier, noch einiges passieren, sich einiges zuspitzen, noch mehr aus den fugen geraten, selbstjustiz und existenzkampf eine neue form annehmen. jedoch nicht heute, nicht diese nacht. vielleicht begegnete man noch ein paar einsamen gestalten, eventuell noch ein, zwei hunden, ansonsten alles normal. irgendwie und alles in allem ein ganz angenehmer abend im friedrichshain.
berlin, juni 2005