Archiv der Kategorie: texte über

Carlfriedrich Claus

guillermo deisler und ich waren, es muss etwa 1993 gewesen sein, zu einer lesung in annaberg-bucholz eingeladen, der stadt, in der auch carlfriedrich claus lebte und auf den wir zu treffen hofften. der anlass war eine ausstellung in der dortigen städtischen galerie an der wir beide beteiligt waren. wir waren gespannt, ob claus denn komme würde.

die galeristin, brigtte milde, erfreut über unser rechtzeitiges erscheinen in ihren räumen, beschrieb nach einigen unserer fragen auch die nach der lage clausscher wohnung. Ja, dort, schräg gegenüber, vielleicht einhundert meter von der galerie entfernt, wohne er. fast zeitgleich wurde uns von ihr auch eine postkarte überreicht, die auf dem amtlichen, nämlich dem postwege, die galerie taggenau erreicht hatte. eine postkarte von carlfriedrich claus, fast auf rufweite von hier geschrieben, an uns gerichtet mit der bitte um verständnis seines heutigen ausbleibens; dass er an einer größeren arbeit säße, diese nicht unterbrechen wolle und deshalb also auch am abend nicht kommen werde. er wünsche uns natürlich gutes gelingen …

 

Uwe Warnke

Kurt Buchwald

Kurt Buchwald und Claus Bach: STUNTS im Museum Junge Kunst, Frankfurt / Oder

Kurt Buchwald. Claus Bach. Stunts. Stunts? Im Museum? Warum? Was ist da so gefährlich? Und für wen? Sind die Künstler die Stuntmen oder haben dieselben um Unterstützung angesucht? Bei wem? Wer macht wem etwas vor? Sind wir die Zuschauer oder sind wir Akteure? Übernehmen wir, das Auditorium, eine Ersatzhandlung an Stelle der gesamten Öffentlichkeit? Ersatzhandlungen? Dazu vielleicht später mehr. Das Spiel ist offen und beide Künstler geben uns mit diesem Titel eine Handreichung doch nachzufragen, mit wem und womit wir es hier denn tatsächlich zu tun haben. Gibt es auch da mehrere Möglichkeiten? Claus Bach, woran erinnert Sie dieser Name? Noch dazu in einem Museum, welches an der Bach-Straße liegt und unweit eines großen Flusses? Richtig, an den Autor gleichen Namens der nicht vergessenen Bücher „Rugby verständlich gemacht.“ oder „SportRegeln: Rugby Die offiziellen Regeln.“ oder einfach „Rugby“ (alle 1992 erschienen). Und Buchwald? Vom Wald einmal abgesehen, welcher Sportsmann ist da gemeint? Oder doch das Café gleichen Namens in Berlin Tiergarten unweit der Spree mit dem hochgerühmten, nach Cottbuser Variante, schwerer als die Salzwedeler Art übrigens, seit 1852 hergestellten Baumkuchen? War das schon die erste Werbeunterbrechung? Hilft uns das weiter?

Zwei Fotografen, zwei Künstler, die sich aus den subkulturellen Zusammenhängen der 80er Jahre in der DDR kennen. Beide damals binnen kurzem auf der Suche nicht nur der Enge der Verhältnisse sondern auch dem scheinbar Festgefügten künstlerischer Vorstellungen der Altvorderen zu entkommen. Dabei gibt es große Schnittmengen. Beiden reicht schon bald das fotografische Einzelbild nicht mehr, Bildserien folgen. Deren logische Folgerungen und nächste Schritte sind, fast zwangsläufig, der Film, das Video. Objekte fallen an. Sie sind innehaltende Geste, Performancerest, dinggewordene Idee, Wegmarkierung. Mehr als Störfeld denn als Orientierungshilfe. Diese Logik heißt nicht, dass das Eine das Andere ablöst. Die Dinge behaupten sich und ihren Platz und zwar nebeneinander. Wahrnehmungen und Wahrnehmungsmuster werden untersucht. Das verbindet.

Wahrnehmung: Form der ideellen Widerspiegelung der objektiven Realität vermittels des Zentralnervensystems der Tiere und der Menschen. Da haben wir’s. Ohne sie kein Überleben. Sie ist dem Leben wesenseigen. Was übrigens ständig als bedingt reflektorischer Akt nach dem Prinzip der Rückkopplung in Teilen der Großhirnrinde passiert, als Synthese von Reizen aller Rezeptoren. Es steht also gar nicht die Frage im Raum, ob wir diese Mittel der Weltaneignung, die uns zur Verfügung stehen, einsetzen oder einzusetzen bereit sind. Wir tun es unablässig – es passiert.

Dennoch ist Täuschung möglich! Wie wir wissen, sind wir zumindest hinreichend genug geschützt, da unsere Wahrnehmung einen bewussten Charakter hat und diese mit den bereits erworbenen Erfahrungen korreliert. Wir schaffen so Abbilder der objektiven Realität, vermittelt durch die eigene subjektive Erkenntnistätigkeit. Sie sehen, es handelt sich um eine Einheit von Objektivem und Subjektivem. Das ist Wahrnehmung. Wir können ohne sie nur sehr eingeschränkt sein. Wir nehmen alle permanent wahr. Und zwar mit allen Sinnen. Ein Sonderfall ist diese Situation hier heute Vormittag in der wir alle vorgeben, an demselben wahrzunehmen bereit und interessiert zu sein. Deswegen sind wir ja schließlich hier. Das schöne daran ist nun, das die Ergebnisse dessen nicht dieselben, ja nicht einmal die gleichen sind, sich vielleicht nicht einmal ähneln. Sie sind genau so viele male verschieden, wie wir Besucher hier sind. So sind wir. So ist der Mensch. So ist die Welt.

Das bringt eine Menge Probleme mit sich, sorgt aber auch für Abwechslung. Wir sind immer wieder dabei dies erneut zu lernen. Unsere Mittel: Vertrauen, Geduld, Wiederholung, Kommunikation. Im Mittelpunkt dieser Ausstellung stehen Videos. Stehen? Sie stehen nicht, sie laufen, also die Bilder. Sie merken schon, es ist schwierig. Unsere Sprache läuft den Ereignissen hinterher. Ein Video muss wiederholt werden, damit es präsent bleibt. Es ist zur Wiederholung gezwungen. Dies scheint eines seiner Prinzipien zu sein. Weil sich in ihm Bilder aneinanderreihen, sie nacheinander entstehen und wieder verschwinden und dabei schließlich Zeit vergeht. Es hat dadurch mehr mit Musik zu tun, mit Theater auch. Das das Zeit braucht ist uns immer etwas unangenehm. Da wird uns etwa eine Verweildauer vorgeschrieben. Einem anderen Kunstwerk, einer Plastik, einem Bild würden wir die Wiederholung als inhärenten Bestandteil gar nicht unterstellen wollen, nicht wahr? Dabei vergeht doch bei der Wahrnehmung desselben ebenso Zeit. Nur, weil wir, was die von uns aufgewendete Zeit angeht, selbst entscheiden können, Zeit als Wahrnehmungsdauer nicht implantiert scheint, urteilen wir hier anders. Würde man diese Zeit allerdings auch solchen Kunstwerken zuschreiben, natürlich nach bestem Wissen und Gewissen eines Kurators oder vielleicht sogar nach einer Empfehlung des noch lebenden Künstlers, wie wären wir irritiert und würden von Anmaßung sprechen. Ein Beispiel? Vielleicht so: Peter Herrmann „James Ensor träumt Magritte“, 2006, 7 Minuten. Das wäre doch merkwürdig, oder. Man würde schnell Demokratie im Museum einfordern und von Freiheit reden usw.. Also: … Stunt, englisch. Wir schlagen nach: Bedeutung 1 – 1. hemmen (im Wachstum, in der Entwicklung etc.) 2. verkümmern lassen, verkrüppeln Und Stunt, englisch. Bedeutung 2 – 1. Kunststück, Glanzstück, Kraftakt; 2. Sensation a) Schaunummer, b) Bravourstück, c) Schlager Wie bekommen wir das zueinander? Nur zusammengenommen interessiert uns das. Ist es nicht so, dass unsere Fähigkeiten verkümmern, wenn uns alles abgenommen wird und wenn wir uns alles abnehmen lassen. Und dies zu dem, wenn uns dann von irgendwelchen Leuten genau dies vorgemacht wird, und zwar perfekt. Eine Stellvertreterhandlung die abschreckt. Eine Täuschung, die mit unserem Leben nichts zu tun hat. Eine Irritation, die ein Double erzeugt, das wir nicht brauchen, aber andere vielleicht benötigen, zumindest etwas schlaglichtartig deutlich macht. Also ein Spiel.

Buchwald ordnet ganze Werkgruppen unter einem „Kreis der Wahrnehmung“. Was wir hier sehen gehört ausnahmslos dazu. Die drei Kästen mit den Installationen, die jeweils nur das Hineinsehen einer Person zu lassen: – embryonaler Grund: rundes, grünes Unbekanntes. Wie ein Blick zurück in die Ursuppe. Erhalten wir hier Zeugnis vom Beginn des Lebens? – inkonto / Begegnung: Buchwald sucht Orte der Kindheit auf: Schatten auf einer Wiese, Spiegelung im Elbwasser, eine Hauskante, eine Brustwarze? Erinnerungsort? Sehnsuchtsfolie? – mundi circolare: scheinbare und reale Erdbeobachtungen / egal wo / erneut finden wir hier Hinweise auf Elementares, auf fremde Welten / verbrannte Böden 2 Objekte – Große Scheibe. Die in unsere Wirklichkeit gestellte große Blende eines Fotoapparates, die mehr verstellt als offen legt und doch durch den erzwungenen Ausschnitt uns zur Konzentration zwingt. Die Frage die sich dabei einstellt: Was leistet Fotografie und was eben nicht? – Der Hofstaat / Röhrenstaat: Müssen Sie auf der einen Seite nicht auch an die Dekadenz des grünen Gewölbes in Dresden und zwar an „Der Hofstaat des Großmoguls Aureng Zeb“ von Johann Melchior Dinglinger von 1701 – 1708 denken? Und auf der anderen Seite? Die gewollte, durch die Medien hergestellte Einschränkung unserer Wahrnehmungsfähigkeit.

Claus Bach zeigt uns hier einige seiner „Instant“ genannten Objekte. Ich schrieb dazu vor einiger Zeit folgendes: Der nächste Schritt beim Sezieren der die Menschen gestaltenden Verhältnisse, wurde beginnend mit der Serie „Instant“ vollzogen. Vom Lebendigen bleibt der Ein- oder auch Kleinzeller übrig. Begriffen als etwas Ursprüngliches, hängt er hier abgebildet auf Positivfilm zwischen Metallstangen, über denen sich „Nachrichten“ der als strategisches Weichziel begriffenen Kreatur Mensch im Kreise drehen. Das Lesen der Tafeln gelingt nicht. Die Kreisbewegung ist zu schnell, um den Text zu erfassen. Die Mühe darum wird nicht belohnt. Und nicht zuletzt das Video: Weimarer Stadtrundfahrt Wir sehen die Bilder der Fahrt einer Spezialkamera durch die Weimarer Kanalisation. Dabei hören wir die Stimme einer Weimarführerin, die uns links und rechts mit den weithin bekannten Immobilien der Weimarer Klassik bekannt zu machen glaubt. Die Weimarer Verhältnisse, dieser musealen Kruste, diesem verwalteten ewig rückwärtsgewandten Totenkult, so statisch wie statistisch auf diese Weise zu unter„wandern“ , bedurfte einer Ironie auch gegenüber der eigenen Herkunft und schuf so eine Parodie, die in Weimar für Aufregung sorgte und ansonsten für Übersetzungen ins Spanische, Englische und Italienische. Und aufgepasst: die Orte der Bilder im Untergrund sind mit den tatsächlichen Orten über diesem, von denen die Rede ist, in Kongruenz gebracht. Das ist im Übrigen ein Grundprinzip aller Arbeiten hier. Die Wechselwirkungen mit der Wirklichkeit treten offen zu Tage, und da, wo sie uns absurd und abseitig erscheinen, ist diese Absurdität nicht im Kunstwerk, sondern immer in der Wirklichkeit zu finden, die letztendlich durch nichts zu überbieten ist.
Uwe Warnke

Eröffnung am 03.06.2007, 11 Uhr, im Museum Junge Kunst Frankfurt/Oder.

Claus Bach

Bildbewegung        Drehmoment        Ständige Eingriffe

Die Bewegung durch Claus Bachs Bildwelten, als Sequenzen uns vorgegebener möglicher Bildfolgen, hat sich schon seit einiger Zeit selbständig gemacht. Die Entwicklung dahin war kleinschrittig, folgerichtig und befindet sich selbst nun in einer Kreisbewegung, dessen Drehmoment sich im Betrachter festhakt. Sich im Kreis zu drehen hieße ja, sich nicht von der Stelle zu bewegen. Hiervon kann meine Rede nicht sein.

Die frühen Arbeiten Claus Bachs bewegten sich durch eine provinzielle, ostdeutsche Popkultur. Diese war mehr Zitat als Ereignis. Die Beobachtungen jedoch waren detailgenau, witzig und verspielt. Sie spiegelten eine Sehnsucht nach den Vorbildern und reproduzierten dabei auch ständig die eigene Offenheit, die die nächsten möglichen Schritte ahnen ließ, welche im Kopf offensichtlich schon vorgezeichnet waren. Diese frühen Arbeiten waren während Ausstellungen in Studentenklubs, Cafés, privaten Wohnungsgalerien und in den original-grafischen Künstlerzeitschriften ENTWERTER/ODER (hier gibt es bis heute Kontakte), UND, REIZWOLF sowie den selbstverlegten Editionen des Trios Sabine Jahn, Thomas Günther, Claus Bach zu sehen. Interessant war in dieser Zeit die Auseinandersetzung von Bild und Text. In zahlreichen Fotoserien, die sich auch in Mappen heute noch auffinden lassen, hat Claus Bach Lösungen von Text im Bild vorgelegt. Die Zusammenarbeit mit dem Dichter Thomas Günther war diesbezüglich sehr fruchtbar. Hieraus kann, gerade wegen der Zuhilfenahme von bildfremdem Material, auch eine Nähe zu einer bestimmten Erzählhaltung vermutet werden. Ein Hinlenken auf den Gegenstand; ein Deutlichermachen von Zusammenhängen. Diese Vermutung findet ihre Bestätigung in jenen Arbeiten, die als Bildfolgen nun von Claus Bach vorgelegt wurden.

Ersteinmal gab es zusammenhängende Bildreihen mit einem immer wiederkehrenden Bildgegenstand. Daraus entstand die Idee, das Bild aus dem Bild entstehen zu lassen, es zum Bestandteil des folgenden zu machen. Picture on Picture. Diese Bildfolgen summierten sich zu sechs Bildern, die auch in kleinem Format als eine Reihe funktionierten. Diese Form zeigt erste konzeptionelle Überlegungen. Sie taucht später, dann allerdings gestraffter, wieder auf.

Als Spiel eines Eingriffs in das Bild und auch als formal neue Variation von Bild und Text, kann man die Arbeiten der „Lichtspuren“ lesen. Arbeit mit der Taschenlampe, einer Nachtsituation und Filmmaterial. Die Bildmanipulation wurde fortgeführt. In diesem Medium wurden auch die ersten Farbversuche unternommen. Das Aktionsfeld wurde erweitert.

„Kopfkörper“ – diese über mehrere Jahre Claus Bach beschäftigende streng konzeptionelle Serie, bündelte die von ihm unternommene Bildsuche und Erzählweisen der frühen 80er Jahre. In diesen Bildern ist das Erzählfeld reduziert, der Gegenstand der Mensch (einzeln, paarweise, in Gruppen), sein Kopf verschwunden hinter einer Projektionsfläche. Das Individuum wurde durch diese Methode jedoch nicht aufgehoben, ein wichtiger Teil ihm zwar genommen, doch wird dieser ersetzt durch die „Tafel“ des Künstlers, die es ihm nun erlaubte, sich erneut ins Spiel zu bringen. Anfangs erinnerte die Herangehensweise an eine Kossuth-Methode, löste sich jedoch schnell davon und die Bildidee wurde konsequent in Variationen durchgearbeitet. Die erste Serie entstand im realen Umfeld, in der Natur, in der Stadt, vor dem Haus usw. und wurde in schwarz/weiß realisiert. In den farbigen Arbeiten wurde der Rest des Individuums getilgt. Die Durchführung wurde ebenfalls aus dem Realen in den Kunstraum verlagert. Dieser Kunstraum wurde zur nächsten Additionsfläche Claus Bachs. Figuren agieren in weißen Kitteln vor einer Leinwand, die Bild und Filmleinwand zugleich ist. Die hier geschaffene Kunstwelt hat nur noch formale Berührungen mit dem Ursprung dieser Serie. Der Gegenstand Mensch ist fast verschwunden.

Die künstliche Welt wird von Claus Bach als große Möglichkeit begriffen und auch deutlich erweitert, die Serie der „Sprechenden Strukturen“ führte ihn jedoch wieder hinaus ins Feld und wieder ins Schwarz/Weiß. Kunstwelt und Natur im Gegenüber. Technische Strukturen, die ohne uns Menschen so nicht vorhanden wären, wurden auf quadratischem Bildformat abgezogen und als Kruzifix angeordnet in die Umwelt gestellt. Botschaft und Mahnung, Entfremdung und Konflikt symbolisierend.

Dieses Bauen von Figuren hat wieder einmal den Blickwinkel und die Möglichkeiten erweitert und führte zu den „Knallkörpern“. Scherenschnitt oder Comicfigur? Die Flächen der Figuren bestanden aus Fotomaterial, das wiederum aus dem Fundus der Strukturen stammte, aber angereichert wurde durch eine Vielzahl anderen Materials. Die Figur verdrängte die Strenge der Materialwahl. Wie mit einer Zackenschere ausgeschnitten ließ sie eine Ahnung von Schneiderwerkstatt wach werden. Sieben auf einen Streich? Erst als kleine Figuren vor die Kamera montiert und nun auf Motivsuche, verselbständigten sie sich, wurden sie zu überlebensgroßen Figuren. In Ausstellungen hingen sie von Decken und an Wänden, als Multiple rief sie zum Selbermachen und zur Nachahmung auf. Die Figuren begannen ihrerseits zu agieren. Die Bilder waren längst in Bewegung. Der Enge des quadratischen Fotoabzugs entkommen, durchschritten sie Zentren deutscher Städte. Der Kontakt zum Medium Video war bereits hergestellt – hier wurde es als ein entsprechendes eingesetzt. Der Videoclip wurde ein weiterer Bestandteil der Arbeit Claus Bachs. Ein erster Höhepunkt ist hierbei das Video „Entscheidungsreue“. Eine Vertreterlitanei, entnommen einem Lehrbuch für Handelsreisende und -vertreter, kommentiert scheinbar die Bewegungen der „Knallkörper“. Der Text wird vor diesen Bildern zum ironischen Kommentar eines allein an Verkauf orientierten Kunstmarktes, dessen Objekt eine Wertsteigerung verspricht und sich von einer Aktie nicht mehr unterscheidet.

Neuere Videoarbeiten, an denen Claus Bach nur, aber immerhin, konzeptionell Anteil hatte, scheinen mir in eine Sackgasse zu führen oder anders gesagt, sie befinden sich auf anderem Terrain. Sie sind balladesk, mit einer anrührenden, das vereinzelte Subjekt hilflos in seine Konditionen stellenden Optik, das sie mich an ostdeutsche 8- und 16-Millimeter-Filme der 80er Jahre erinnern lassen. Hier taucht ein den bachschen Arbeiten ansonsten fremdes Pathos auf, dem jeglicher Witz fehlt.

Der nächste Schritt beim Sezieren der die Menschen gestaltenden Verhältnisse, wurde beginnend 1994 mit der Serie „Instant“ vollzogen. Vom Lebendigen bleibt der Ein- oder auch Kleinzeller übrig. Begriffen als etwas Ursprüngliches, hängt er hier abgebildet auf Positivfilm zwischen Metallstangen, über denen sich „Nachrichten“ der als strategisches Weichziel begriffenen Kreatur Mensch im Kreise drehen. Das Lesen der Tafeln gelingt nicht mit einem Mal, die Kreisbewegung ist zu schnell, um den Text gleich zu erfassen. Die Mühe darum wird jedoch nicht belohnt. Da ist nur noch Langeweile und die Aggression aus ihr. Das gilt für viele Bilder unserer Konsumwelt ebenso. Die Bildflüchtigkeit ist Bestandteil und Ergebnis dieses Konsums. Es lohnt eben nicht mehr, Zeugnisse des „ex und hopp“ überhaupt wahrzunehmen. Auch die Medien, die dieses täglich tragen – es lohnt nicht der Mühe. Der Kreisel dreht sich immer schneller und nunmehr nur noch nach innen. Die Katastrophen sind übrig geblieben und stehen Schlange. Aber auch sie sind der Mühe nicht mehr wert.

Neben „Instant“ zählt das „London-Project“ zu den neuesten Arbeiten. Gemeinsam mit der Engländerin Elizabeth – Jane Grose, die das ACC-Stipendium in Weimar erhalten hatte und dort auf Claus Bach stieß, stellte er jüngst in der Galerie EIGEN & ART in Leipzig aus. Die Engländerin holte sich aus dem Spannungsfeld des Wörtlichnehmens von deutschen und englischen Idiomen sowie aus deren unterschiedlichen Bedeutungen in beiden Sprachen ihre Gestaltungslust. Da hing ein T-Shirt aus Teebeuteln neben einem Glockenrock, welcher aus Marmor gehauen war. Auf Farbfotos waren Brillen zu sehen, in denen anstelle der Gläser Feldfrüchte gestopft waren. Eine Variation zum Thema Feldstecher usw. .

Während der Vorweihnachtszeit 1994 waren beide in London gemeinsam über Flohmärkte gelaufen und hatten dort kleine leuchtende Gegenstände erworben. Kitschiger Zierat, eigentlich zu nichts nütze. Drapiert auf den Körper der beiden, wird er allerdings Bestandteil eines witzigen Spiels, das von Annahme, Identifikation und Fetischen erzählt. Wenn die Dinge es schon nicht zum Ornament schaffen, so wird das einzelne doch zum umworbenen Objekt. Kleinformatige, farbige Fotos legen darüber Zeugnis ab. Die Leuchtkörper bleiben dem body fremd. Die Libido hält sich in Grenzen. Es mußte ausprobiert werden. Das Spiel bleibt.

Die Arbeiten von Claus Bach waren in der ACC-Galerie, Weimar, den Brandenburgischen Kunstsammlungen, Cottbus, der Galerie EIGEN & ART, Leipzig, zu sehen und sind nun vom 03.06. bis 30.07.1991 in der Staatlichen Galerie Moritzburg, Halle, ausgestellt. Die Ausstellungen begleitet ein Katalog.

Kurt Buchwald und Claus Bach: STUNTS im Museum Junge Kunst, Frankfurt / Oder

Kurt Buchwald. Claus Bach. Stunts. Stunts? Im Museum? Warum? Was ist da so gefährlich? Und für wen? Sind die Künstler die Stuntmen oder haben dieselben um Unterstützung angesucht? Bei wem? Wer macht wem etwas vor? Sind wir die Zuschauer oder sind wir Akteure? Übernehmen wir, das Auditorium, eine Ersatzhandlung an Stelle der gesamten Öffentlichkeit? Ersatzhandlungen? Dazu vielleicht später mehr. Das Spiel ist offen und beide Künstler geben uns mit diesem Titel eine Handreichung doch nachzufragen, mit wem und womit wir es hier denn tatsächlich zu tun haben. Gibt es auch da mehrere Möglichkeiten? Claus Bach, woran erinnert Sie dieser Name? Noch dazu in einem Museum, welches an der Bach-Straße liegt und unweit eines großen Flusses? Richtig, an den Autor gleichen Namens der nicht vergessenen Bücher „Rugby verständlich gemacht.“ oder „SportRegeln: Rugby Die offiziellen Regeln.“ oder einfach „Rugby“ (alle 1992 erschienen). Und Buchwald? Vom Wald einmal abgesehen, welcher Sportsmann ist da gemeint? Oder doch das Café gleichen Namens in Berlin Tiergarten unweit der Spree mit dem hochgerühmten, nach Cottbuser Variante, schwerer als die Salzwedeler Art übrigens, seit 1852 hergestellten Baumkuchen? War das schon die erste Werbeunterbrechung? Hilft uns das weiter?

Zwei Fotografen, zwei Künstler, die sich aus den subkulturellen Zusammenhängen der 80er Jahre in der DDR kennen. Beide damals binnen kurzem auf der Suche nicht nur der Enge der Verhältnisse sondern auch dem scheinbar Festgefügten künstlerischer Vorstellungen der Altvorderen zu entkommen. Dabei gibt es große Schnittmengen. Beiden reicht schon bald das fotografische Einzelbild nicht mehr, Bildserien folgen. Deren logische Folgerungen und nächste Schritte sind, fast zwangsläufig, der Film, das Video. Objekte fallen an. Sie sind innehaltende Geste, Performancerest, dinggewordene Idee, Wegmarkierung. Mehr als Störfeld denn als Orientierungshilfe. Diese Logik heißt nicht, dass das Eine das Andere ablöst. Die Dinge behaupten sich und ihren Platz und zwar nebeneinander. Wahrnehmungen und Wahrnehmungsmuster werden untersucht. Das verbindet.

Wahrnehmung: Form der ideellen Widerspiegelung der objektiven Realität vermittels des Zentralnervensystems der Tiere und der Menschen. Da haben wir’s. Ohne sie kein Überleben. Sie ist dem Leben wesenseigen. Was übrigens ständig als bedingt reflektorischer Akt nach dem Prinzip der Rückkopplung in Teilen der Großhirnrinde passiert, als Synthese von Reizen aller Rezeptoren. Es steht also gar nicht die Frage im Raum, ob wir diese Mittel der Weltaneignung, die uns zur Verfügung stehen, einsetzen oder einzusetzen bereit sind. Wir tun es unablässig – es passiert.

Dennoch ist Täuschung möglich! Wie wir wissen, sind wir zumindest hinreichend genug geschützt, da unsere Wahrnehmung einen bewussten Charakter hat und diese mit den bereits erworbenen Erfahrungen korreliert. Wir schaffen so Abbilder der objektiven Realität, vermittelt durch die eigene subjektive Erkenntnistätigkeit. Sie sehen, es handelt sich um eine Einheit von Objektivem und Subjektivem. Das ist Wahrnehmung. Wir können ohne sie nur sehr eingeschränkt sein. Wir nehmen alle permanent wahr. Und zwar mit allen Sinnen. Ein Sonderfall ist diese Situation hier heute Vormittag in der wir alle vorgeben, an demselben wahrzunehmen bereit und interessiert zu sein. Deswegen sind wir ja schließlich hier. Das schöne daran ist nun, das die Ergebnisse dessen nicht dieselben, ja nicht einmal die gleichen sind, sich vielleicht nicht einmal ähneln. Sie sind genau so viele male verschieden, wie wir Besucher hier sind. So sind wir. So ist der Mensch. So ist die Welt.

Das bringt eine Menge Probleme mit sich, sorgt aber auch für Abwechslung. Wir sind immer wieder dabei dies erneut zu lernen. Unsere Mittel: Vertrauen, Geduld, Wiederholung, Kommunikation. Im Mittelpunkt dieser Ausstellung stehen Videos. Stehen? Sie stehen nicht, sie laufen, also die Bilder. Sie merken schon, es ist schwierig. Unsere Sprache läuft den Ereignissen hinterher. Ein Video muss wiederholt werden, damit es präsent bleibt. Es ist zur Wiederholung gezwungen. Dies scheint eines seiner Prinzipien zu sein. Weil sich in ihm Bilder aneinanderreihen, sie nacheinander entstehen und wieder verschwinden und dabei schließlich Zeit vergeht. Es hat dadurch mehr mit Musik zu tun, mit Theater auch. Das das Zeit braucht ist uns immer etwas unangenehm. Da wird uns etwa eine Verweildauer vorgeschrieben. Einem anderen Kunstwerk, einer Plastik, einem Bild würden wir die Wiederholung als inhärenten Bestandteil gar nicht unterstellen wollen, nicht wahr? Dabei vergeht doch bei der Wahrnehmung desselben ebenso Zeit. Nur, weil wir, was die von uns aufgewendete Zeit angeht, selbst entscheiden können, Zeit als Wahrnehmungsdauer nicht implantiert scheint, urteilen wir hier anders. Würde man diese Zeit allerdings auch solchen Kunstwerken zuschreiben, natürlich nach bestem Wissen und Gewissen eines Kurators oder vielleicht sogar nach einer Empfehlung des noch lebenden Künstlers, wie wären wir irritiert und würden von Anmaßung sprechen. Ein Beispiel? Vielleicht so: Peter Herrmann „James Ensor träumt Magritte“, 2006, 7 Minuten. Das wäre doch merkwürdig, oder. Man würde schnell Demokratie im Museum einfordern und von Freiheit reden usw.. Also: … Stunt, englisch. Wir schlagen nach: Bedeutung 1 – 1. hemmen (im Wachstum, in der Entwicklung etc.) 2. verkümmern lassen, verkrüppeln Und Stunt, englisch. Bedeutung 2 – 1. Kunststück, Glanzstück, Kraftakt; 2. Sensation a) Schaunummer, b) Bravourstück, c) Schlager Wie bekommen wir das zueinander? Nur zusammengenommen interessiert uns das. Ist es nicht so, dass unsere Fähigkeiten verkümmern, wenn uns alles abgenommen wird und wenn wir uns alles abnehmen lassen. Und dies zu dem, wenn uns dann von irgendwelchen Leuten genau dies vorgemacht wird, und zwar perfekt. Eine Stellvertreterhandlung die abschreckt. Eine Täuschung, die mit unserem Leben nichts zu tun hat. Eine Irritation, die ein Double erzeugt, das wir nicht brauchen, aber andere vielleicht benötigen, zumindest etwas schlaglichtartig deutlich macht. Also ein Spiel.

Buchwald ordnet ganze Werkgruppen unter einem „Kreis der Wahrnehmung“. Was wir hier sehen gehört ausnahmslos dazu. Die drei Kästen mit den Installationen, die jeweils nur das Hineinsehen einer Person zu lassen: – embryonaler Grund: rundes, grünes Unbekanntes. Wie ein Blick zurück in die Ursuppe. Erhalten wir hier Zeugnis vom Beginn des Lebens? – inkonto / Begegnung: Buchwald sucht Orte der Kindheit auf: Schatten auf einer Wiese, Spiegelung im Elbwasser, eine Hauskante, eine Brustwarze? Erinnerungsort? Sehnsuchtsfolie? – mundi circolare: scheinbare und reale Erdbeobachtungen / egal wo / erneut finden wir hier Hinweise auf Elementares, auf fremde Welten / verbrannte Böden 2 Objekte – Große Scheibe. Die in unsere Wirklichkeit gestellte große Blende eines Fotoapparates, die mehr verstellt als offen legt und doch durch den erzwungenen Ausschnitt uns zur Konzentration zwingt. Die Frage die sich dabei einstellt: Was leistet Fotografie und was eben nicht? – Der Hofstaat / Röhrenstaat: Müssen Sie auf der einen Seite nicht auch an die Dekadenz des grünen Gewölbes in Dresden und zwar an „Der Hofstaat des Großmoguls Aureng Zeb“ von Johann Melchior Dinglinger von 1701 – 1708 denken? Und auf der anderen Seite? Die gewollte, durch die Medien hergestellte Einschränkung unserer Wahrnehmungsfähigkeit.

Claus Bach zeigt uns hier einige seiner „Instant“ genannten Objekte. Ich schrieb dazu vor einiger Zeit folgendes: Der nächste Schritt beim Sezieren der die Menschen gestaltenden Verhältnisse, wurde beginnend mit der Serie „Instant“ vollzogen. Vom Lebendigen bleibt der Ein- oder auch Kleinzeller übrig. Begriffen als etwas Ursprüngliches, hängt er hier abgebildet auf Positivfilm zwischen Metallstangen, über denen sich „Nachrichten“ der als strategisches Weichziel begriffenen Kreatur Mensch im Kreise drehen. Das Lesen der Tafeln gelingt nicht. Die Kreisbewegung ist zu schnell, um den Text zu erfassen. Die Mühe darum wird nicht belohnt. Und nicht zuletzt das Video: Weimarer Stadtrundfahrt Wir sehen die Bilder der Fahrt einer Spezialkamera durch die Weimarer Kanalisation. Dabei hören wir die Stimme einer Weimarführerin, die uns links und rechts mit den weithin bekannten Immobilien der Weimarer Klassik bekannt zu machen glaubt. Die Weimarer Verhältnisse, dieser musealen Kruste, diesem verwalteten ewig rückwärtsgewandten Totenkult, so statisch wie statistisch auf diese Weise zu unter„wandern“ , bedurfte einer Ironie auch gegenüber der eigenen Herkunft und schuf so eine Parodie, die in Weimar für Aufregung sorgte und ansonsten für Übersetzungen ins Spanische, Englische und Italienische. Und aufgepasst: die Orte der Bilder im Untergrund sind mit den tatsächlichen Orten über diesem, von denen die Rede ist, in Kongruenz gebracht. Das ist im Übrigen ein Grundprinzip aller Arbeiten hier. Die Wechselwirkungen mit der Wirklichkeit treten offen zu Tage, und da, wo sie uns absurd und abseitig erscheinen, ist diese Absurdität nicht im Kunstwerk, sondern immer in der Wirklichkeit zu finden, die letztendlich durch nichts zu überbieten ist.
Uwe Warnke

Eröffnung am 03.06.2007, 11 Uhr, im Museum Junge Kunst Frankfurt/Oder.

Uwe Warnke

Uwe Warnke – Viermal um den Block

Alternatives Publizieren von Fotografie in der späten DDR

Dass die Fotografie seit ihrem Bestehen auch ein Vervielfältigungsmedium ist und als solches genutzt wird, ist unbestritten. Anachronistisch mutet es jedoch an, wenn in der DDR noch in den 1980er-Jahren bestimmte Aufsätze und Textsammlungen abfotografiert und auf Fotopapier abgezogen werden mussten, weil sie nur so unter Umgehung der Zensur ihre Adressaten erreichten. Das war mit großem Arbeitsaufwand verbunden, aber eine der Möglichkeiten, insbesondere bei großen Textmengen und wenn Eile geboten war, kleine Auflagen herzustellen sowie sich und die Freunde in den Besitz von dem öffentlichen Diskurs entzogenen Texten zu bringen.[1],[2] Dabei waren die Endformate gegenüber dem Ausgangsmaterial zumeist verkleinert, die Abzüge oft nicht gut lesbar, aber es funktionierte. Die Grundlagen zur inhaltlichen Auseinandersetzung waren damit gegeben.

Unter denen, die sich diese Arbeit auferlegten, waren auch junge Fotografen, die nach neuen Formen von Austausch, Widerspruch, Kritik und Anerkennung suchten. Waren sie den Weg über die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB) gegangen, dann fanden sie diese zum Teil im Lehrbetrieb der Hochschule, aber auch außerhalb im Kreis gleichgesinnter Kommilitonen. Wer den Weg nicht gehen konnte oder wollte, blieb als Autodidakt auf andere Formen der Kommunikation angewiesen.

Vor allem in den Großstädten Berlin, Leipzig und Dresden hatten sich in den frühen 1980er-Jahren Szenen gebildet, zu denen neben Künstlern, Dichtern, Schriftstellern, Schauspielern, Super-8-Filmern, Bohemiens und Aussteigern aller Art auch Fotografen gehörten. Der Austausch untereinander war intensiv und außerordentlich frei. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die einzelnen Szenen eigene Foren schaffen und sie mit ihren Inhalten füllen würden.

In ganz Ostberlin gab es einen Laden, in dem die Möglichkeit zum Kopieren von Schwarz–Weiß–Vorlagen angeboten wurde: der Verkaufsraum der PGH Film und Bild in der Schönhauser Allee 28 im Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Ein Mitarbeiter prüfte mit geschultem Blick das ihm überreichte Kopiergut, bevor es vervielfältigt wurde. Eine Kopie kostete 80 Pfennig und jede weitere 40 Pfennig, sodass für fünf Kopien – die maximal zulässige Menge pro Vorlage – 2,40 Mark zu zahlen waren. Wollte man weitere Kopien derselben Vorlage, so war es angebracht, einmal um den Block zu gehen und nach vielleicht fünf Minuten wieder im Laden zu stehen, demselben Mitarbeiter gegenüber. Nur wenn man mit ihm allein war, fragte dieser eventuell, wie oft man denn noch kommen wolle. Waren 25 Kopien nötig, sagte man, dass man nach diesem dann noch dreimal käme. Mit gutem Willen und nur unter vier Augen, wurde die Anzahl der gewünschten Kopien sofort angefertigt. Abgerechnet wurde mit einzelnen Quittungen, so als wäre man fünfmal für jeweils fünf Kopien erschienen. So oder so machte das 12 Mark.

Sowohl die Art und Weise des Vorgangs als auch der Preis schlossen diese Vorgehensweise zur Vervielfältigung von Texten und Bildvorlagen eigentlich aus. Doch auch mit solchen und anderen einfallsreicheren Methoden wurden ab 1982 erste kleine illegale publizistische Projekte gestartet und durchgehalten. Begriffe wie Untergrund, Illegalität, Konspiration sind in diesem Zusammenhang in ihrer zwingenden Eindeutigkeit schwierig und wurden auch damals selten benutzt. Es gab nicht nur dieses Schwarz-Weiß. Es war grauer, ja bunter. Die Grenzen des eigenen Tuns waren fließend, das Agieren zwischen den Fronten oder auf beiden Seiten eher das Typische. Die Regelung, dass es Künstlern erlaubt war, eine 99er-Auflage ihrer eigenen Arbeit ohne Druckgenehmigung zu drucken und dass ein Text, wenn er Teil der Arbeit war, keiner gesonderten Genehmigung bedurfte, wurde weidlich genutzt.[3] Wir wissen aber auch aus Stasiakten, dass die Herausgabe nicht lizenzierter Zeitschriften als Ordnungswidrigkeit behandelt wurde. Der Staat hatte somit eine juristische Handhabe, von der er mit unterschiedlichen Strategien Gebrauch machte.[4] Doch meist blieb es bei der Beobachtung.

1982 entstanden die ‚original-grafischen Künstlerzeitschriften‘ Entwerter/Oder[5] in Berlin und kurz danach UND[6] in Dresden, die sich erst später, nachdem mehrere Ausgaben herausgegeben worden waren, zu Periodika entwickelten. Damit eröffnete sich den Fotografen die Möglichkeit, in einem neuen und unkonventionellen Rahmen eine gewisse Öffentlichkeit zu erreichen.

Als eine Art Kontaktstelle zwischen Fotografen und den Machern dieser illegalen Kunstzeitschriften fungierten die neu entstandenen Präsentationsorte für Fotografie: Kneipen, Jugendklubs, kleine kommunale Galerien, Studentenklubs. Hier wurden Ausstellungseröffnungen zu wichtigen Treffpunkten, um sich kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen und Pläne zu schmieden. Die Zeitschriften machten die Runde. Trotz des damit verbundenen Aufwands für die Fotografen, ihre Bilder in der nötigen Auflage abzuziehen, waren einige von ihnen gerne bereit, bei den Projekten mitzumachen.[7]

Der Mitherausgeber des Anschlag[8], Karim Saab, schreibt 2001 über den hilfreichen Nebeneffekt von Handabzügen und signierten Originalen: „Im Konfliktfall wollten wir uns auf die Freiheit der Kunst berufen.“[9] Für die meisten anderen dieser nicht lizenzierten Periodika wie Entwerter/Oder, UND, Schaden[10], U.S.W.[11], A DREI[12], LIANE[13] war der inhaltliche Bezug zwischen bildender Kunst und Literatur von Anfang an gegeben. Die Kunst, und das schloss die Fotografie mit ein, war ein fester Bestandteil dieser Publikationen. Als das Gemeinsame wurde, über Genregrenzen hinweg, das Subjektive und Individuelle angesehen. Manche vermuteten, dass sich mit dieser Arbeit eine Trennungen zwischen den Genres herbeiführen ließe – Illusionen, die gelegentlich in Kunstprodukten manifest zu werden schienen.

Die Künstlerbuchproduktion nahm Fahrt auf: Der freie Umgang mit Text und Bild, die Handschrift und jegliche Form subjektiven Ausdrucks, visuelle Poesie und vieles mehr fanden nicht zuletzt hier ihren Niederschlag. 1991 schreibt Jens Henkel in einem Aufsatz über Künstlerbücher in der DDR: „Die Fotografie findet sich in den Büchern selten und wurde dann oft über den Siebdruck verfremdet.“[14] Mit dem Wort ‚verfremdet‘ beschreibt er einen Effekt, der nicht immer gewollt war. Nur wenige Siebdrucker[15] besaßen die technischen Voraussetzungen, wie Siebe mit hoher Dichte und dazu eine Farbe, die sich bei dieser Maschendichte noch gut drucken ließ, sowie die notwendigen Fertigkeiten. Nicht selten druckte man mit derselben Siebdrucktechnik, die für Zeichnungen verwendet wurde, auch Fotografien, die zuvor hoch aufgerastert wurden. Dies führte im Ergebnis zu ‚Verfremdungen‘ von Bildern, die sich so weder durch hohe Qualität noch Brillanz auszeichneten. Für Fotopuristen waren die Resultate sicher kein Genuss. Doch angesichts der spärlichen Möglichkeiten wog der hohe Grad an Authentizität dies auf.

Genau genommen waren es auch nicht die Siebdruckproduktionen, die der Fotografie den Weg in die illegalen Buch- und Zeitschriftenproduktionen ebneten, sondern vor allem die originalen Barytabzüge. Spätestens ab Mitte der 1980er-Jahre war die Entwicklung der eigenen Mittel und Methoden unter den mitarbeitenden Fotografen so fortgeschritten, dass sie ihre Fotografien sofort als Originalabzüge, sogenannte vintage prints, in die Publikationen einbinden lassen konnten. Auf diese Weise fanden sich in den Zeitschriften Fotografien von Laien und Autodidakten neben denen professionell ausgebildeter Fotografen.[16] Insbesondere für die nach 1950 Geborenen wurden diese Veröffentlichungsmöglichkeiten ein wichtiges Forum.[17]

Die unterschiedlich starken Fotopapiere waren nicht leicht zu verarbeiten. Diese wurden nur gelegentlich genutet[18], sodass sie das Blättern der Zeitschriften durchaus erschwerten. Dies mag auch ein Grund sein, warum sich die Fotos häufig als Beilagen im Anhang finden.[19] Sie bildeten auch, professionell weiterverarbeitet und auf Buchdeckel aufgezogen, beeindruckende Cover oder fanden sich auf Fotoleinen belichtet und weiterverarbeitet als Umschläge wieder. (Abb. 1–3) Bei der vom Leipziger Fotografen Dietrich Oltmanns mit herausgegebenen Publikation Zweite Person[20] (Abb. 4) ist der Einband jeder Ausgabe mit einer im Siebdruck übertragenen Fotografie von Oltmanns versehen. Auch finden sich gelegentlich im Inhalt reproduzierte Fotografien, die mittels Klischees im Buchdruck verarbeitet wurden. Hier hatte sich Oltmanns mit der dünnen Rückendeckung seiner gerade erfolgten Mitgliedschaft im Verband Bildender Künstler eine Druckgenehmigung beim Rat der Stadt Leipzig besorgt und so seine Vorstellung realisieren können. Ganz offensichtlich hiervon ermutigt, gelang ihm noch ein weiterer Coup: Für das von ihm konzipierte Künstlerbuch Die Stimme des Schweigens[21] mit einem Text von Gert Neumann bot sich für den Druck der Fotografien ein befreundeter Drucker der Hallenser Kunsthochschule Burg Giebichenstein an. Der Offsetdruck wurde auf der dortigen Andruckpresse vorgenommen. Nur im ‚Nebenbei‘ und immer ein wenig auf der Hut konnte so etwas umgesetzt werden.

Eine Spezialität bei der Vervielfältigung von Fotografien bot die im Leipziger VEB Grafischer Großbetrieb Offizin Andersen Nexö arbeitende historische Lichtdruckerei. Dieses besondere Verfahren ließ ein präzises, rasterfreies Druckbild aus echten Halbtönen entstehen. Um dieses zu nutzen, bedurfte es natürlich einer Druckgenehmigung. Gelegentlich wurde diese auf der Basis von gewachsenem Vertrauen nebenbei umgangen. Regelmäßiger fanden hier jedoch die Fotografie-Diplomanden der HGB eine Werkstatt, in der sie ihre individuellen Ansprüche angemessen umsetzen konnten.

Die auf den unterschiedlichsten Wegen zustande gekommenen und so publizierten Arbeiten wurden von den Akteuren nicht ohne Stolz herumgereicht. Und monatlich kam etwas Neues hinzu. Man behütete sie sorgsam, und langsam wuchsen in einigen privaten Regalen kleine Kunstsammlungen heran. Eine besondere Position unter den Künstlerzeitschriften nahmen hier die wenigen, aber umso bemerkenswerteren Sonderausgaben zur Fotografie ein.

Der Konzeptfotograf Kurt Buchwald schlug im Frühjahr 1987 anlässlich einer von ihm organisierten Ausstellung zur konzeptionellen Fotografie[22] in Ostberlin vor, eine Foto-Sonderausgabe von Entwerter[23] herauszugeben. (Abb. 5) Diese eher zufällig entstandene Ausgabe war der Beginn von zahlreichen Foto-Sonderausgaben innerhalb der verschiedenen publizistischen Initiativen.

Cornelia Jentzsch, die auch die bekannte Galerie KKH Treptow ehrenamtlich unterstützte, stellte ebenfalls 1987 eine aufwendige Mappe zusammen, die ausdrücklich der konzeptionellen Fotografie gewidmet war.[24] (Abb. 6)

Unter dem Titel Grenzüberschreitende Projekte, subjektive und konzeptionelle Fotografie wurde 1988 die zweite Foto-Sonderausgabe der Künstlerzeitschrift Entwerter/Oder veröffentlicht.[25]

In Leipzig ging Karim Saab der Frage nach, was zeitgenössische Fotografie noch zu leisten in der Lage wäre. Er lud Fotografen, Autoren und Kunstwissenschaftler ein, gemeinsame Beiträge für ein Portfolio zu erarbeiten. Im Frühherbst 1988 erschien das Ergebnis als beeindruckend umfangreiche Kassette unter dem Titel Foto-Anschlag.[26] (Abb. 7)

Bernd Weise organisierte 1989 in Karl-Marx-Stadt als fünfzehnte Folge der von ihm herausgegebenen Grafikmappe A DREI eine Ausgabe unter dem Titel Aspekte aktueller DDR-Fotografie.[27] (Abb. 8)

Der in diesem Kunstwollen immer zu kurz gekommenen Life-Fotografie nahm sich die dritte Foto-Sonderausgabe von Entwerter/Oder an, die noch im Dezember 1989 verteilt werden konnte.[28] Die vierte Foto-Sonderausgabe folgte 1990 unter dem Titel experimentelle Arbeiten.[29]

Im Nachgang zu der im Sommer 1989 stattgefundenen Ausstellung Fotografie in Aktion[30] in Ostberlin, zu der kein Katalog erschienen war, bemühte sich der Kurator Heinz Havemeister, der auch Mitherausgeber der illegal erscheinenden Künstlerzeitschrift LIANE[31] war, eine Ausgabe dieser Ausstellung zu widmen. (Abb. 9) Es sollte nicht sogleich gelingen und dauerte bis in das Jahr 1990. Im Herbst 1989 war zunächst Wichtigeres zu erledigen als dies.

Uwe Warnke ist Autor, Verleger und Herausgeber von Entwerter/Oder


[1] Ein Beispiel ist das in der DDR nicht zur Verbreitung gekommene Protokoll der Berliner Begegnung zur Friedensförderung, einem zweitägigen Treffen auf Einladung des DDR-Schriftstellers Stephan Hermlin nach Ostberlin am 13./14.12.1981, mit rund 100 Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern aus beiden deutschen Staaten sowie  aus Westberlin und weiteren europäischen Ländern. Vervielfältigtes Dokument im Besitz des Deutschen Historischen Museum, Berlin.

[2] Die Nutzung der mechanischen Schreibmaschine mit Durchschlägen mittels Kohlepapier war eine weitere Möglichkeit, die durch das Abschreiben allerdings zeitaufwendiger war. Auch Lichtpausen oder das Ormig-Verfahren kamen zum Einsatz.

[3] Vgl. Ministerium für Kultur der DDR, „Anweisung über die nicht verlagsgebundene örtliche Publikationstätigkeit, Berlin, 21.05.1984“.

[4] Die Herausgeber und Teilnehmer der in Halle mit nur drei Ausgaben erschienenen Künstlerzeitschrift Galeere (1985/1986) wurden mit Ordnungsgeldern, Disziplinarverfahren und Studienunterbrechungen bestraft, womit letztlich das Ende ihres Projektes erzwungen wurde.

[5] Entwerter/Oder, hrsg. von Uwe Warnke, Siegmar Körner, Ostberlin 1982; seit 1983 hrsg. von Uwe Warnke. Bis 1989 erschienen 39 Ausgaben und 9 Sonderausgaben. Die Zeitschrift wird bis heute verlegt.

[6] UND, hrsg. von Lothar Fiedler, Dresden 1982–1984, 15 Ausgaben.

[7] Es gab alles, was man benötigte (Filme, Fotopapiere, Entwickler, Fixierbad etc.); aber vielleicht nicht genau das, was man wollte, und nicht unbedingt dann, wenn man es brauchte. Zu haben waren unterschiedlich starke Fotopapiere in matt, halbmatt und glänzend in fester Gradation, Dokumentenpapier mit gröberer Körnung und Fotoleinen; erhältlich von der Rolle oder formatiert zugeschnitten.

Die Heterogenität der verwendeten Materialien in den Künstlerzeitschriften und Editionen erzählt heute noch davon. Auch dies wurde in der Wendezeit bei den nun aufmerksam gewordenen Sammlern in Westeuropa und Nordamerika, neben der Subjektivität und Eigenständigkeit des hier zu findenden künstlerischen Ausdrucks, ein Charakteristikum, nach dem gesucht wurde.

[8] Anschlag, hrsg. von Angelika Klüssendorf u. a., Leipzig 1984–1989, 10 Ausgaben.

[9] Karim Saab, „Eigenwillig und illegal – Die Zeitschrift ‚Foto-Anschlag‘“, in: Foto-Anschlag. Vier Generationen ostdeutscher Fotografen, hrsg. von Zeitgeschichtliches Forum Leipzig, 2001, S. 8.

[10] Schaden, hrsg. von Sascha Anderson u. a., Ostberlin 1984–1987, 17 Ausgaben.

[11] U.S.W., hrsg. von Micha Brendel, Dresden 1984–1987, 12 Ausgaben.

[12] A DREI, hrsg. von Claus Löser und Frank Brettschneider, ab 1986 von Bernd Weise, Karl-Marx-Stadt 1983–1990, 16 Ausgaben.

[13] LIANE, hrsg. von Susanne Schleyer, Volker Handloik, Heinz Havemeister, Michael Thulin, Ostberlin, seit 1988, bis 1990 7 Ausgaben, erscheint noch.

[14] Jens Henkel, „Die Bibliophilie der ‚Andersdenkenden‘ – Künstlerbücher in der DDR“, in: Ders., Sabine Russ, DDR 1980–1989. Künstlerbücher und originalgrafische Zeitschriften im Eigenverlag. Eine Bibliografie, Gifkendorf 1991, S. 10.

[15] Neben anderen lieferten Gottschalk in Dresden, Tauer in Leipzig, und Götze in Halle unter diesen Bedingungen dennoch Hervorragendes ab.

[16] „Neu war, dass Arbeiten von Künstlern, die ein Studium absolviert hatten, gleichberechtigt mit Arbeiten von ernstzunehmenden Autodidakten vereint waren. Dadurch erhielten diejenigen Künstler, die nicht im DDR-Künstlerverband waren, eine größere Öffentlichkeit. Gern wurden Autodidakten von offizieller Seite ins kriminelle Abseits gedrängt“, schreibt Bernd Weise, „A DREI“, in: Yvonne Fiedler, Galerie Boykott. Eine kunsthistorische Betrachtung zur Geschichte der privaten Galerien in der DDR, Chemnitz 2010.

Natürlich lässt sich unter den fotografischen Äußerungen der ca. 130 Künstler, die Fotografien einlieferten, auch manches Epigonale, Laienhafte, Unfertige finden. Die Suche nach Ausdruck, das Finden einer eigenen Sprache, das Bekenntnis zum Subjekt, die Reflexion des Mediums … all das ist allerdings in verschieden ausgeprägten Qualitäten zu finden. Das Unwichtige ist sicher schnell überblättert. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass diese außerordentlich breite Beschäftigung mit dem Medium Fotografie mit dazu beitrug, einzelne hervorragende Positionen hervorzubringen.

[17] Unter anderem passierte dort das, was T. O. Immisch innerhalb der Fotografie treffend „als Bewegung von der Fremdbestimmung zur Autonomie, vom Abbild zum Bild, von der angewandten Arbeit zur Kunst“ beschreibt. Zit. nach T. O. Immisch, „Dokument und Inszenierung. Zu einigen Photographien aus Künstler-Publikationen im Selbstverlag“, in: Mensch!: Photographien aus Dresdener Sammlungen, hrsg. von Wolfgang Hesse, Katja Schumann, Marburg 2006, S. 145.

[18] Mechanisch werden längs zum Buchrücken Rillen eingeprägt; sie dienen dem besseren Blättern.

[19] Harald Hauswald, Entwerter/Oder-Sonderausgabe, 1, 1984; Matthias Creutziger, Entwerter/Oder, 11, 1984; Karin Wieckhorst, Anschlag, 5, 1986, Schaden, 6, 1986, Schaden, 10, 1986, Schaden, 12, 1986 und Schaden, 14, 1987; Thomas Florschütz, Schaden, 1, 1984 und Schaden, 3, 1985; Micha Brendel, Schaden, 2, 1984, Schaden, 6, 1985, Schaden, 9, 1986, Schaden, 13, 1986 und Schaden, 15, 1987, usf, 1, 1986; Bernd Janowski, Gerd Danigel, Schaden, 3, 1985; Bernd Janowski, Gundula Schulze, Schaden, 5, 1985; Heike Stephan, Bernd Janowski, Schaden, 12, 1986; Jochen Wermann, Schaden, 6, 1985; Werner Lieberknecht, usf., 1, 1986; Jens Rötzsch, Schaden, 13, 1986.

[20] Zweite Person, hrsg. von Dietrich Oltmanns u. a., Leipzig 1987–1989, 5 Ausgaben.

[21] Gert Neumann, Dietrich Oltmanns, Stimme des Schweigens, Leipzig 1988.

[22] Achtung/Attention/Wnimanie. Konzeptionelle Fotografie, kuratiert von Kurt Buchwald, Club der Bauarbeiterjugend, Ostberlin, 05.07.–02.08.1987.

[23] Entwerter-Foto-Sonderheft, 1: Zur konzeptionellen Fotografie, hrsg. von Uwe Warnke, Kurt Buchwald, mit Fotografien von Andreas Tesch, Andreas Seeliger, Boris Ogrissek, Burkhard Wunder, Frank Herrmann, Kurt Buchwald, Florian Merkel und Texten von Jörg Sperling, Rolf H. Kraus, Gabriele Muschter, Jörg Waehner, Bernd Weise, Kurt Buchwald, Andreas Tesch, 21 x 29,7 cm, 20 Exemplare, Ostberlin 1987.

[24] O. T., konzeptionelle Fotografie, hrsg. von Cornelia Jentzsch, mit Fotografien von Peter Oehlmann, Klaus Elle, Rainer Görß, Kurt Buchwald, Micha Brendel, Klaus Hähner-Springmühl, Else Gabriel sowie Texten von Hans J. Schulze, Gabriele Muschter, Rainer Schedlinski, Klaus Elle, Jörg Waehner, Cornelia Jentzsch, Umschlag von Heike Stephan, 35 x 45 x 5 cm, 25 Exemplare, Ostberlin 1987.

[25] Entwerter-Foto-Sonderheft, 2: Grenzüberschreitende Projekte, subjektive und konzeptionelle Fotografie, hrsg. von Uwe Warnke, Kurt Buchwald, mit Fotografien von Stephan Gustavus, Reinhard Saczewski, Irene Fischer, Claus Bach, Florian Merkel, Kurt Buchwald, Frank Herrmann, Martin Claus, Jörg Knöfel, Samia Hussein, Gerd Sonntag und Texten von Kurt Buchwald, Uwe Warnke, Ulrike Stöhring, Jörg Sperling, Heinz Havemeister, Stefan Raum, Christoph Tannert, Ralf Herzig, T. O. Immisch, 21 x 29,7 cm, 25 Exemplare, Ostberlin 1988.

[26] Foto-Anschlag, hrsg. von Karim Saab, mit Fotografien von Evelyn Richter, Klaus Hähner-Springmühl, Klaus Elle, Frank Herrmann, Michael Scheffer, Uwe Frauendorf, Micha Brendel, Jörg Knöfel, Carolyn Macartney, Ulrich Wüst, Jens Walter, Werner Lieberknecht, Rainer Görß, Kurt Buchwald, Maria Sewcz, Tina Bara, Viola Vassilieff, Samia Hussein, Peter Oehlmann, Jens Rötzsch, Dietrich Oltmanns, Matthias Hoch, Karin Wieckhorst, Peter Thieme, Bertram Kober, Christiane Eisler, Sven Marquardt, Gundula Schulze, Ernst Goldberg, Else Gabriel, Gunnar Porikys und Andreas Seeliger sowie Texten von Willi Baatz, Klaus Werner, Klaus Elle, Jörg Sperling, Michael Scheffer, Olaf Nicolai, Yuri Winterberg, Ulrike Stöhring, Leonhard Lorek, Matthias Flügge, Olaf Stoy, Rainer Görß, Kurt Buchwald, Gabriele Muschter, Heinz Havemeister, Dietrich Oltmanns, Jens Rötzsch, Matthias Hoch, Christoph Tannert, Gundula Weimann, Gundula Schulze, Ernst Goldberg, Cornelia Jentzsch, Gunnar Porikys und Andreas Seeliger, 26 x 34 x 6,5 cm, 40 Exemplare, Leipzig 1988.

[27] A DREI, 1/89/15, Aspekte aktueller DDR-Fotografie, hrsg. von Bernd Weise, mit Fotografien von Erich Wolfgang Hartzsch, Olaf Rauh, Peter Franke, Manfred Butzmann, Klaus Hähner-Springmühl, Robert Paris, Florian Merkel, Tina Bara, May Voigt, Gundula Schulze, Jörg Knöfel, Kurt Buchwald, Frank Herrmann, Andreas Seeliger, Ernst Goldberg, Ralf-Rainer Wasse und Eva Mahn, 29,7 x 42 cm, 30 Exemplare, Karl-Marx-Stadt 1989.

[28] Entwerter-Foto-Sonderheft, 3: zur sogenannten LIVE-Fotografie [sic], hrsg. von Uwe Warnke, Kurt Buchwald, mit Fotografien von Maria Sewcz, Jörg Franke, Claus Bach, Jürgen Gebhardt, Robert Paris, Sabine Voerster, Arno Wolff, Kurt Buchwald, Jochen Janus, Reinhard Münch, Uwe Frauendorf, Bertram Kober, Renate Zeun, Bernd Lasdin, Matthias Hoch, Joachim Richau, Harald Hauswald und Texten von Uwe Warnke, Gabriele Muschter, Jörg Kowalski, 21 x 29 cm, 25 Exemplare, Ostberlin 1989.

[29] Entwerter-Foto-Sonderheft, 4: experimentelle Arbeiten, hrsg. von Uwe Warnke, Kurt Buchwald, mit Fotografien von Andreas Tesch, Jürgen Nagel, Ingrid Behm, Uwe Rohnstock, Susanne Schleyer, Stephan Gustavus, Kurt Buchwald, Michael Scheffer, Bernd Borchardt, Ernst Goldberg, Claus Bach, Sabine Jahn, Karin Wieckhorst, Andreas Seeliger, Wolfgang Lieberknecht/Olaf Stoy, Michael Kirsten, Jochen Wermann und Texten von Michael Scheffer, Thomas Günther, Jörg Waehner, Ralf Bartholomäus und Kurt Buchwald, 21 x 29 cm, 25 Exemplare, Berlin 1990.

[30] Fotografie in Aktion, Haus der jungen Talente, Ostberlin, 20.07.–11.08.1989.

[31] LIANE, 7: Fotografie in Aktion, hrsg. von Heinz Havemeister, Susanne Schleyer, mit Fotografien von Micha Brendel, Kurt Buchwald, Else Gabriel, Ernst Goldberg, Klaus Hähner-Springmühl, Erich Wolfgang Hartzsch, Frank Herrmann, Samia Hussein/Gerd Sonntag, Florian Merkel, Klaus Storde/Martin Claus, Jörg Waehner, Ralf-Rainer Wasse, Karin Wieckhorst und Arno Wolff sowie Texten von Ulrike Stöhring, Else Gabriel, Jörg Waehner, Micha Brendel und Heinz Havemeister, 21 x 30 cm, 30 Exemplare, Berlin 1990.

Ottfried Zielke – Zielke & Konsorten

Meine Damen und Herren, lieber Ottfried Zielke!

Das Museum Schloss Burgk ehrt mit der hier zu eröffnenden Ausstellung Zielke & Konsorten das Werk und die Persönlichkeit Ottfried Zielkes aus Anlass seines 70ten Geburtstages. Das Museum hat sich bereits in den vergangenen Jahren für Arbeiten des Künstlers interessiert. Es befinden sich einige Bücher Zielkes in der hiesigen Sammlung. Die Zielke-Ausstellung von 1998 dokumentierte das eindrucksvoll.

Was ist aber heute anders? Sabine Schemmrich, Museum Schloss Burgk, und Uwe Warnke, Autor und Kunstbuchverleger aus Berlin, haben seit dem Winterhalbjahr gemeinsam am Konzept und an der Realisierung einer ganz anderen Ausstellung gearbeitet. Wir verfolg­ten dabei die Idee, Künstlerinnen und Künstler hierfür einzuladen, die dem Werk Zielkes mit Respekt, Anerkennung oder auch Verehrung gegenüberstehen. Wir hofften eine Vielfalt künstlerischer Positionen und Arbeiten zusammentragen zu können, in denen diese Zielke hier ihre Referenz erweisen würden. Die außerordentlich große Resonanz bei so vielen Künstlerinnen und Künstlern hat uns recht gegeben. Es sind nun Arbeiten von 51  (Zielke + 50) Künstler­innen und Künstlern aus Deutschland, Frankreich und den USA in den Räumen der Neuen Galerie, des Pirckheimer Kabinetts, des Grafik-Kabinett sowie in großen Teilen des Ritter­saalganges zu sehen, die subjektiv, mannigfaltig und mit Witz den Dialog mit Zielke auf­nehmen. Eigene Arbeiten von Zielke selbst stehen dabei im Mittelpunkt. Ich möchte wenigs­tens einmal alle Namen hier nennen und mich auch im Namen von Sabine Schemmrich und des Museums Schloss Burgk für die aktive Mitarbeit und für ihr heutiges Kommen bei allen bedanken:

Hartmut Andryczuk, Claus Bach, Micha Brendel, Kurt Buchwald, Klaus Peter Dencker, Gerhild Ebel, Waltraut Fischer, Felix Martin Furtwängler, Ilse Garnier, Pierre Garnier, John Gerard, Cornelia Groß, Thomas Günther, Wolfgang Henne, Thomas Henniges, Peter Huckauf, Alain Jadot, Reiko Kammer, Jürgen Kierspel, Harald Alexander Klimek, Jörg Kowalski, Anja Krüger, Hendrik Liersch, Helmut Löhr, Ruth Loibl, Christoph Meyer, Franz Mon, Anette Munk, W.W. Neumann, Susanne Nickel, Wolfgang Nieblich, Martin Noll, Jürgen O. Olbrich, PLG Friesländer, Andreas Prüstel, Karla Sachse, Kai Selbar, Frank Siewert, Reiner Slotta, Hartmut Sörgel, Katrin Stangl, Ulrich Tarlatt, Susanne Uhl, Uwe Warnke, Franz Zauleck, Helmut Zielke, Klaus Zylla und natürlich bei Ottfried Zielke.

Seit gut 15 Jahren arbeite ich mit Ottfried Zielke künstlerisch und verlegerisch zusammen. Auf dem Feld der Visuellen Poesie begegneten wir uns zuerst. Ende der achtziger Jahre in Ostberlin gewann ich ihn dann für mein illegales Zeitschriftenprojekt ENTWERTER/ODER. Die Zusammenarbeit wurde intensiver, als wir beide Anfang der 90er in dem Kunstprojekt KUNST STATT WERBUNG mitarbeiteten. In dieser Zeit wagten wir uns an die ersten unikaten Künstlerbücher und verkauften auf der Frankfurter Buchmesse sofort alles. Das sollte bis heute anhalten. Meine telefonische Erfolgsnachricht darüber erwiderte Ottfried häufig mit den Worten: „Da freut sich aber die Ratte.“ Dies hieß auch immer, dass dieser Erfolg nicht selbstverständlich war und Ottfried vor allem sich selbst wiederholt zu warnen versuchte, sich nicht hiermit zu begnügen und damit allzu gefällig zu werden. Dies zu umschiffen ist ihm über die Jahre gut gelungen. Texte, formale Vorgaben, die Verwendung auf den ersten Blick buchfremder Materialien oder die Beteiligung befreundeter Künstler­innen und Künstler waren für ihn immer Herausforderungen, bewusst als Aufgabe begriffen, auch um genau einem Gleichlauf, einer Wiederholung zu entgehen. Die etwa 60 großen Malerbücher, die seit dieser Zeit entstanden sind, mittlerweile bereichern sie große private und staatliche Sammlungen Deutschlands, der Niederlande, Südkoreas, Luxembourgs und der USA, können darüber beredt Zeugnis ablegen. Eine Wiederbegegnung mit ihnen ist immer wieder spannend und schön. Das kann hier in Burgk ebenso passieren wie z.B. in Greiz, wo das bisher größte, nur von zwei Personen geöffnet zu haltende, zu bewundern ist.

Und dabei gibt es thematisch wie ästhetisch so unterschiedliche Bücher, dass es auch für Ottfried immer wieder aufregend ist, wenn er, zumeist vor einer Buchmesse, zu mir kommt und die neuesten Bücher zeigt und übergibt. Nach Waltraut Fischer, seiner Lebensgefährtin, habe ich das Privileg, als zweiter die Objekte sehen zu dürfen. Nicht nur ich, auch die Sammler sind häufig überrascht und dennoch überzeugt worden von den Ergebnissen und schließlich mit Leidenschaft drangeblieben. Und das verblüffende dabei ist: bei aller Verschiedenheit haben sie eine gemeinsame Identität und sind immer als Zielkes zu erkennen. Neben Auflagenbüchern, auch dem Wunsch der Sammler entgegenkommend, nicht nur rare Einzel­stücke anzubieten, haben bis heute immer weitere einzigartige Kunstobjekte das Licht der Welt erblickt.

Zielkes Strich gilt vielen als unverwechselbar. In einer Welt, die immer glatter gemacht wird, die fast nur noch auf Oberfläche setzt, wo deren Macher Perfektion einsetzen und uns dabei ihre Seele absichtsvoll vorenthalten, wirkt die Sprödigkeit des Strichs Zielkes einfach, ehrlich und direkt. Seinen hintergründigen Humor und seinen durchaus politischen Biss hat er dabei in den letzten Jahren nicht verloren. Dafür gibt es bis heute auch keinen Anlass. Nicht einmal am Horizont ist so etwas wie Uneigennützigkeit als politische Folie auch nur zu erahnen. So liegen seine Themen gewissermaßen auf der Straße, vor seinem Fenster.

Und dabei wirkt vieles wie skizziert, spontan, so leicht, dass wir genau darüber, weil es uns aber doch wie fertig und abgeschlossen erscheint, immer wieder ins Staunen geraten. Sein Bruder Helmut, ebenfalls Künstler, gestand mir mal, er wisse nicht wie Ottfried das mache. Er selbst würde sich den halben Tag über ein Blatt beugen, dabei Linie an Linie setzen und an dem Ergebnis feilen – und dann kommt mit der Post so eine scheinbar hingehauene Postkarte von Ottfried und verdammt noch mal – die stimme einfach. Und diese Karten sind legendär, meine Damen und Herren, werden gesammelt und glücklich der, der sie im Brief­kasten hatte.

Ottfried sitzt an seinem Arbeitstisch in seinem Haus am Rande des Oderbruchs, schaut gen Osten und entrüstet sich über eine Welt, die kaum das Resultat von Vernunft und eben auch zunehmend die verpflichtende Haltung der Aufklärung verlassen zu haben scheint. Er kratzt das Ergebnis seiner Einsichten aber auch seiner Wut mit den einzigartigen Mitteln seines Humors auf das Blatt, auf das Blech, in oder auf das Holz, das Acryl. Da wird gezeich­net und gemalt, gestempelt, geklebt, gerissen, gesägt und geschraubt, sogar gelötet. Am Ende kommt neben Zeichnungen und Malerei aber immer ein Buch heraus. Nicht wie bei Natascha Wolprynowna, wie ein Witz aus den 80ern erzählte, Arbeiterin in einer sowjetischen Samowar-Fabrik, die jeden Tag ein Einzelteil ihrer Fließbandarbeit heimlich mit nach Hause nahm, und dort zusammenzubauen versuchte und dabei, wie sie es auch anstellte, immer eine Kalaschnikow herausbekam.

Nun wäre ich wohl ein schlechter Verleger, wären wir nicht im Umfeld diese Jubiläums herausgeberisch tätig geworden. Auf der einen Seite haben Ottfried und ich die Sonderausgabe Tagesthemen von E/O in 33er Auflage mit 16 Siebdrucken und zwei Zeichnungen samt handbemalten Umschlag herausgegeben. Zum anderen haben 30 an dieser Ausstellung beteiligte Künstlerinnen und Künstler eine Edition in 50er Auflage, ebenfalls als Sonderausgabe bei ENTWERTER/ODER, zusammengestellt, von der Ottfried noch gar nichts weiß. Sie ist ausdrücklich dir und deinem 70ten Geburtstag gewidmet. Ich möchte sie dir im Namen der hieran beteiligten Künstler überreichen. Wir wünschen dir alles gute und möchten hiermit vor allem DANKE sagen!

Uwe Warnke in Burgk, 15. Juli 2006, anlässlich der Eröffnung von

ZIELKE & KONSORTEN im Museum Schloss Burgk.

Ottfried Zielke verstarb am 17. September 2016 im Alter von 80 Jahren.

Zahlreiche Kunstdrucke von Arbeiten Ottfried Zielkes finden sie bei Bokelberg.

Zoppe Voskuhl – Ein richtig guter Maler

„Ein richtig guter Maler. Aber was er da malt, also …“

Meine Damen und Herren, das vorangestellte Zitat ist ein auf Zoppe Voskuhl Gezieltes. Es entstammt der Museumsstrukturen. In diesen wird ja immer abgewartet, was außerhalb ihrer eigenen, durchaus rückwärtsgewandten Welt passiert. Wir wollen dies nicht beklagen, nur feststellen. Die Gründe, wie zum Beispiel deutlich begrenzte monetäre Möglichkeiten aber auch die beziehungsreichen Abhängigkeiten eigener Strukturen, reihen sich immer noch ein neben fehlenden Mut und dem wenig vorhandenen Willen, Kritik auszuhalten. Hier die Zusammenhänge zu erkennen, hilft weiter.

Ein richtig guter Maler. Richtig und gut. Ein figürlicher Maler? Voskuhl selber sagt: „Ich bin ein realistischer Maler.“ Will er uns nur provozieren? Werden da nicht all unsere Vorurteile wach? Realismus, war das nicht auch die abgegriffene Spiegelwelt insbesondere realsozialistischer Prägung? Nein, keine Spiegelwelt, gewiss nicht. Das, was wir auf seinen Bildern sehen, ist dennoch unsere Wirklichkeit, ein Ausschnitt, sind einige unserer vielen Welten. Dort sind zwar einige Naturgesetze aufgehoben, Gravitation findet gelegentlich nicht statt, unsere Körperlichkeit manifestiert sich lediglich in Ähnlichkeiten, einzelne Figuren sind mit Fähigkeiten ausgestattet, die uns fremd sind und die wir nicht verstehen usw. – dennoch sind das unserer Konflikte. Das sind auch unsere Idyllen. Nicht immer wollen wir all dies wahrhaben. Wir kommen aber nicht umhin, wenn wir die Malerei Zoppe Voskuhl genießen und wertschätzen wollen, uns mit diesen auseinander zu setzen. Und ich sage: Zoppe sei Dank.

Die erste Begegnung mit den Figuren und der Bildwelt Voskuhls passierte vor wenigen Jahren in einer mir seit fast zwei Jahrzehnten bekannten Kreuzberger Druckwerkstatt. Der Verlegerkollege und Drucker Hendrik Liersch, immer unterwegs wenn für die Buchkunst und Dichtung irgendwo ein Pflock eingeschlagen werden sollte, druckte bei Maikowsky und Weller die Linolschnitte des Künstlers, zeigte sie mir und verband damit die Frage, ob das nicht auch mal was für meine, mit Originalen arbeitende Zeitschrift sei. Ich sah mir einige Drucke an und konnte wohl ein Schmunzeln nicht verkneifen. Das genügte, das war meine Weihe. Ich war also dabei, erhielt noch einen Katalog als Zugabe und es war ausgemacht. Die nächste Aus-gabe von Entwerter/Oder enthielt Grafiken von Zoppe Voskuhl. Ich war dem Künstler bis dato noch nicht einmal begegnet. Der Katalog verschärfte dann noch meinen ersten Eindruck. Was war das da auf den Bildern? Was war da los? Die Intensität der Bilder war noch um einiges größer. Während sich die Linolschnitte auf eine Bildidee reduzieren ließen, einen Gedanken, ein Bonmot, war die Welt der Bilder deutlich komplexer. Hier fand Malerei statt, Farbe kam nicht nur ins Spiel, sie war bestimmend. Noch mehr Figuren, die agierten. Ein Spiel, das mich erneut irritierte. Und es ging da ordentlich zur Sache. Hier wurde gemordet und geliebt, geopfert und gezeugt, gekämpft und gespielt, gegeißelt und genossen – eher selten kontemplativ auf dem Sonnendeck gelegen. Doch immer wieder Form, Figur, Form.

Malerei, das ist Liebe zur und Umgang mit Farbe auf der Fläche. Ihre Materialität ist im Vorgang des Malens Schicht um Schicht gewachsen und auf den Bildern ablesbar. Ihre Pastosität ist schließlich zu greifen. Etwas das Voskuhl lieb und teuer ist, das er schätzt und verteidigt. Und doch ist dabei die Form immer stärker als die Farbe. An diesem Naturgesetz der Malerei kommen wir auch heute Abend nicht vorbei. Dieses Gesetzes ist sich der Künstler auch durchaus bewusst. Ihm stellt er sich immer wieder. Es ist immer wieder ein Wagnis, sobald der Pinsel in der Hand gehal-ten wird, die Leinwand ausgebreitet und die Farbe frisch heraus gedrückt ist. Ein Wagnis, das sich die Waage zu halten versucht, das schussendlich auf einen Ausgleich aus ist, auf eine Lösung. Diese liegt im Ästhetischen. Gelegentlich tauchen Textsplitter auf. Die scheinbar nebenbei oder flüchtig notierten Wortreihen sind bei genauem Hinsehen doch Handreichungen, die unserem Denken eine Richtung geben können. Eine mögliche Aussage wird auch dadurch immerhin so gelenkt, dass ihr zumindest die Beliebigkeit genommen wird. Ich mache es kurz: Dialektik, meine Damen und Herren. Das eine undenkbar ohne das andere. Bedingtheiten, die ausgehalten werden müssen und eben hier auch ausgehalten werden.

Ich möchte noch ein wenig über die Figuren selbst nachdenken. Die Kopffüßler des Bilderkanons der 60er und 70er Jahre haben hier wieder vorsichtig Körper erhalten. Figuren in allen Größen neben-, hinter- und übereinander. Nicht durch Alter voneinander getrennt, eher durch ein Mehr oder Weniger an Zuteilung. Da hat der eine mehr Glück gehabt als der andere. Das kommt mir bekannt vor. Es scheint übrigens niemand darüber Klage zu führen. Das unterscheidet uns von ihnen. Körper, auf denen kindsähnliche Köpfe sitzen. Ein Kindchenschema ist sicher nicht zu übersehen. Comic? Lebensfähig genug sind lediglich ihre Gliedmaßen dünn ausgebildet, aber offensichtlich hinreichend stabil und damit zu allerhand Tat und Schandtat einsetzbar. Sympathisch und verspielt. Alles strebt nach oben. Manche kommen gar aus der Erde. Der Aufenthalt hier hat irgendetwas Vorläufiges.

Ist es so, dass es Voskuhl auf diese Weise, mit dieser Figuration, gelingt, etwas passieren zu lassen, dass man Erwachsenen in vielen Fällen so nicht abnehmen würde? Und wirkten die Auseinandersetzungen, die Konflikte, die Gewalt dann nicht ganz anders? Warum ist eine Folterszene bei Voskuhl keine Folterszene? Woher kommt die Gelassenheit in den Gesichtern der Akteure? Wird da, so ganz nebenbei, ein Tabu gebrochen? Welche Berührungsängste werden hier geschickt unterlaufen? Warum sind die Direktbilder, die dies zum Thema machen, alle verkauft?

Plötzlich ist Idylle, sonst kaum auszuhalten, weil falsch und verlogen, möglich. Kunst, wenn sie groß ist, kann das. Mir kommt da Richter in den Sinn. Nein, der 1884 verstorbene Dresdner Romantiker Ludwig Richter. Doch irgendwas stimmt bei dem Vergleich nicht. Voskuhl war nie auf die Romantik hinter dem Idyll aus. Nie dieses „verweile doch du bist so schön“ – während draußen eine andere Wirklichkeit zusammen gebulldozert, zusammen spekuliert wird. Bei ihm knistert die Doppelbödigkeit und man ahnt, irgendwas wird geschehen. Oder ist allein die Existenz solchen Idylls längst der Beleg dafür, dass Grausames und Unwiederbringliches geschehen ist und geschieht?

Ein Name noch: Henry Darger. Der Chicagoer Hausmeister eines Krankenhauses, der 1973, nach seinem Tod neben 15 000 Seiten Text auch noch mehrere hundert Blätter Zeichnungen hinterließ und dessen Kindsfiguren, allerdings alle geschlechtslos oder dem weiblichen Geschlecht zuordenbar, ebenso vielfältig und schwerelos wie bei Voskuhl agieren. Es gibt immer Berührungen. Hier angekommen bewegen wir uns mittlerweile am Rande von Art Brut. Ja, ich weiß, wie sehr das hinkt.

Ist es in der Malerei eigentlich auch so, dass am Ende das Bild schlauer ist als sein Maler? Bei Texten ist das so. Der Text ist immer klüger als sein Autor.

Wo waren wir noch stehen geblieben?

Vielen Dank

Uwe Warnke zu den Arbeiten Zoppe Voskuhls, aus Anlass der Ausstellung „Bilder, Skulpturen und Grafiken aus der Werkgruppe Rüdi Bilder” in der Galerie elm 75, Weserstrasse 164, Berlin (Neukölln) am Samstag den 1. November 2008

Frank Siewert – Buchgrafik

Als ich vor einigen Tagen das erste Mal in diesen Raum mit seiner Kunst kam, war ich auf seltsame Weise angefasst. Ich war von einer Stimmung fasziniert, in der alles zu passen schien. Ich begriff erst zu Hause, zurückgekehrt an den Schreibtisch, dass es die formale Geschlossenheit war, die Einheit und Dichte, die mich begeisterte und die mich wieder mal überzeugt hatte.

Wenn uns in der Begegnung mit der Kunst so etwas passiert, treffen wir keine Entscheidungen nach gründlichen Analysen, Lektüren, Seminaren, Rücksprachen, langem Abwegen, einem Für und Wider etc. -, sondern unser Prinzip Wahrnehmung funktioniert dabei spielend. Das sind Augenblicke, Erfahrungsmuster, Vergleiche, ein Scannen und Ordnen und bestenfalls Fragen zulassen. Und das passiert in Windeseile, in Femtosekunden, würde Frank Siewert vielleicht sagen. Wir denken da vordergründig nicht nach und könnten doch, würden wir umgehend gefragt, sofort einiges assoziativ herunterspulen, erzählen. Das haben wir drauf. Und nicht etwa, weil wir das alles schon kennten. Würde sich dies nämlich nur in unserem Erfahrungshorizont abbilden, kämen wir über das Wort Tradition nicht hinaus. Also unsere Offenheit, die zulässt, dass wir verstört werden, irritiert werden usw. ohne uns zu verschließen, ist das, was uns mit dem Künstler verbindet, was die Spannung hält, was uns einander interessiert. Empathie und Kontemplation, meine Damen und Herren, diese Einfühlung und sich immer wieder bestätigen wie gut oder schlecht, wie richtig oder falsch alles ist und vor allem wie einig wir uns dabei doch sind, ist zwar ein tragfähiges Konzept in Ruhe, hilfreich im Moment des tiefen Durchatmens (Seufzen ist eine Vollatmung), eines das auch dem Gräbenziehen und der eingeübten Abgrenzung z.B. gegen all das Neue, Fremde, vermeintlich Unruhig-Machende dient. Es ist aber keines für die Bewegung. Nichts, was weiterführt. Dieser Unterschied ist es, dem wir dankbar sein sollten; dankbar für eine neue Erfahrung. Wann machen wir die denn noch? Wie wir sehen, stehen uns also nicht Fremdheiten im Weg, sondern wir uns selbst. Wohl dem der fühlen und denken will.

Wir stehen hier vor Buchexistenzen, die im Chor der Bücher, der Buchproduktionen und des Buchmarktes überhaupt keine Rolle spielen. Fragestellungen, wie sie die Papier- und Druckindustrie gegenüber Verlagen gern aufwirft, z.B. die Beschaffenheit des Buchdeckels und der Inhaltsseiten aus demselben Papier zu wählen, um beim später ganz sicher folgenden Recycling verkaufter oder nichtverkaufter, gelesener oder nichtgelesener Bücher Arbeitsschritte der notwendigen Trennung zu sparen, tauchen hier nicht auf. Und wir sind froh, dass das so ist. Genau das schafft ja auch Freiheiten. Buchkunst, um die sich im Übrigen bestenfalls schon genau so lange bemüht wird wie es eben Bücher gibt, d.h. schon lange vor dem Buchdruck, ist hier von Interesse. Schon in der Phase der Handschrift und mehr noch mit Einführung des Buchdrucks entstehen umgehend Traditionen. Buchkunst heute, wenn sie dieser Tradition entkommen ist, kennt einerseits deren Gesetze und formalen Bedingungen, die eben Buch bedeuten und ist andererseits wach genug, diese in Teilen immer wieder über Bord zu werfen. Genau soweit vielleicht, dass es das eigene Boot nicht kentern lässt. Aber warum nicht auch dies? Dieses Zu-weit-gegangen-Sein ist doch eine wunderbare Erkenntnis, die außerdem Gründe hat und die neugierig macht auf das Danach. Wenn es das dann hoffentlich noch gibt.

Auf die Frage, warum immer wieder das Buch, antwortet Frank Siewert ohne Umschweife, dass er schließlich mit dem Buch groß geworden und dass das Buch eben auch ein haptisches Erlebnis sei. Man kann es in die Hand und auch direkt vor die Augen nehmen. Man kann es sehen, fühlen, riechen. Etwa 100 eigene Bücher und Beteiligungen an diesen sind es, zu denen sich der Künstler immer wieder hat hinreißen lassen. Texte sind dabei ein Einstieg in die Auseinandersetzung. Es sind solche unter anderen von Gert Neumann, Sarah Kirsch, Ina Strelow, Eberhard Häfner, Richard Anders, Peter Wawerzinek oder Vitezlav Nezval. Hinweise auf Texte nimmt er gern und dankbar von Kollegen auf. Zeitgenossenschaft scheint dabei eine Rolle zu spielen. Diese Texte sind das kleine Fenster, der Ansatz. Reibung ist ausdrücklich erwünscht. Zitat: „Sich dem eigenen Denken ausliefern.“ Dieses Begegnen-Wollen, etwas, was auch uns hierher geführt hat, fand für den Künstler schon ganz am Anfang in der Konfrontation mit der Literatur statt. Die Arbeit am Text ist dabei atmosphärisches Reagieren, kein Spiegeln, kein Illustrieren. Stimmungen einfangen und sie vor der eigenen Erfahrungswelt prüfen. Dabei ist auch für den Künstler nicht klar, was entsteht. Die Verbindung vom Kopf bis zur Hand ist lang. Was auf diesem Weg und in der dabei notwendigen Zeit passiert bis der Gedanke Bewegung wird und eine noch so kleine Spur auf dem Papier oder Stein hinterlässt, ist völlig unklar. Hält sie der Prüfung stand, setzt ein Erkenntnisgewinn auch für Siewert erst mit Verzögerung, bei später erneut stattfindender Wiederbegegnung, ein.

„Sehen ist Käfig“ lese ich da als Titel eines unikaten Malerbuches das ganz auf Text verzichtet. Sicher gilt dies auch als Ansporn, den eigenen Mustern zu entkommen. Siewert ist sich der bestätigenden Einfühlung als Gefahr bewusst, wenn er 1998 schreibt: „Erinnerungen haben romantischen Staub angesetzt.“

Ein Sich-Fügen in die Gesetze und Traditionen des Buches, die Geschlossenheit zwischen den Deckeln, einem Anfang und einem Ende, dem gegenüber von Seiten, der Serie und Variation von Aufeinanderfolgendem in Text und Bild, der Formatbegrenzung, dem Text der alles zusammen zu halten scheint -, das alles ist für Siewert nicht vordergründig von Interesse. Die Strenge ist ihm allerdings Motivation. „Es ist eher der Nutzen der sich daraus ergebenden Möglichkeiten“, wie er auch sagt.

Dass er dabei Freunde im Geiste fand und auf Gegenliebe stieß wundert dann schon nicht mehr. Verleger luden ihn ein und Editionen standen ihm offen. Das begann in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren mit der Herzattacke und Edition Maldoror in Berlin, ging über Keil in Brandenburg zu Entwerter/Oder, Edition Dschamp, miniture obscure, savod progress (alle Berlin) zum Verlag Peter Ludewig in München. Der Karo Verlag in Basel wie auch inventory in London luden ihn ein. Bei den Schraubenblättern, Berlin, entsteht immer wieder etwas wie auch im Arco Verlag, Wuppertal/Wien. Aktuell lieferte er Arbeiten für quartett in Halle.

Er geht dabei spielerisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Drucktechniken um. Es begann mit Kopien von Zeichnungen und wechselte schnell zu Holzschnitten. Das wurde von ihm im Jahr 2000 aufgegeben. Sogar Fotografien, Handabzüge um genau zu sein, tauchten auf. Die Lithografie steht ihm heute genauso zur Verfügung wie die Radierung, der Siebdruck. Die letzten drei genannten Techniken sind dem Prozess des Zeichnens nahe. Da findet sich schließlich auch das Original, die Zeichnung, wieder ein, wenn der Künstler auf dem Humus des von ihm bereits Gestalteten weiter arbeitet und Gedrucktes übermalt. Die Farbigkeit spielt dabei, wie nicht zu übersehen ist, in Pastelltönen und im Gedeckten. Erdtöne herrschen vor. Die Form, die sich so durchsetzt, hat etwas Zeichenhaftes. In der Reduktion des Figürlichen hat sie aber immer noch ihre Körperlichkeit. Reduziert wird um der Einfachheit Willen. Hier geht es ruhig, sensibel zu; in Klarheit, wenn Sie so wollen. Es ist nicht das Spektakel, nicht der Rausch, nicht das Menetekel. Siewert war immer schon, und so ist es auch hier, auf anderes aus.

Uwe Warnke

gehalten am 29.09.2011 im projektraum: alte feuerwache, Berlin-Friedrichshain

Antje Scharfe – Gefäßerweiterungen

„Immer so als ob!“          Ein großes Bekenntnis zur Form.  Gefäß – e r w e i t e r u n g e n

Gemeinhin spricht man von Gefäßerweiterungen, wenn durch Ausschüttung körpereigener Hormone die Durchblutung angeregt wird. Voraussetzung dafür ist ein gegebener Anlass. Das Ergebnis, zum Beispiel: wir erröten. Ein Affekt, dessen Sichtbarkeit unter Umständen uns oder überhaupt stört, aus medizinischer Sicht jedoch durchaus wünschenswert, zumindest positiv bewertet wird. Bewegung ist eben alles …  Tritt allerdings, und dies ist eine der Gefahren der Gefäßerweiterung, eine gewisse Wandschwäche auf, so dass die Flüssigkeit führenden Gefäße diese nicht mehr halten können und platzen, ist das Überleben eine Frage des schnellen Zugriffs, der zur Verfügung stehenden Technologie und damit der Ideen.

Zu Besuch bei Antje Scharfe. Die Werkstatt ist eine Werkstatt. Der erste Eindruck: alles befindet sich im Werden; Oder sagen wir in einem Zwischenstadium. Das Sympathische: nichts ist weggestellt (woher will ich das wissen?) und nichts ist zugehängt oder abgedeckt. Staubfrei geht es nicht zu, kann es hier nicht zugehen. Alles liegt auf der Hand, vor den Augen. Das Gespräch dreht sich um das was sich denken lässt und hier zur Form wird. Die Regale sind voll mit sinnlichen Versuchsanordnungen. Was sich jetzt noch verschiebt, verbiegt, verfärbt, entblättert und kombiniert, ist sinnliches Reagieren auf neue Verhältnisse, ist ein Abklopfen und Gestalten neuer Erfahrungen.

„Ich bin etwas verblüfft, dass sich Kollegen immer wieder von den Resultaten meiner Arbeit überrascht zeigen.“ Ein Satz von Antje Scharfe, der ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass doch alles nahe liege, dass doch die Dinge klar seien, oder? Keinen Hehl macht sie aus dem sich so einstellenden Missmut, wenn das Mitdenken ausbleibt. Und genau so selbstverständlich entwickelt sie eine Form aus der nächsten, steht eine Folgerichtigkeit angeschrieben, die mich beeindruckt, gerade wegen ihrer Schlüssigkeit.

Hier wird gedacht, nachgedacht – und das Denken geht der Handarbeit voraus, ist fester Bestandteil ihres Werks. Neben unserer sinnlichen Wahrnehmung wird auch ein gedankliches Nachvollziehen vom Betrachter erwartet. Das ist der Unterschied zum Angebot an Kontemplativen.

Eine Frage bringt mich auf das Wort „Parodie“. „Nein“, kontert Frau Scharfe, „ich liebe die Keramik, ich liebe Gefäße. Das was ich tue, ist ein Kommentar. Immer so als ob.“  Die Titel der einzelnen Werkgruppen bieten uns einen Schlüssel, erleichtern uns ihre Lesbarkeit: „Funktionelle Gefäße“, „Still-leben-Gefäße“, „Nachdenken über Gefäße“, „Küchen“, „Borde“, „Taschentuchbilder“ usw.

Kommentare kommen ohne Erleben nicht aus, setzen Souveränität und Überblick voraus und besitzen die Freiheit des Zitats. Genau so! Sie sind actio und reactio in einem. Das benutzen desselben Materials ist das Zitieren einer Quelle.

Immerhin oder immer noch: alles was entsteht greift in den Raum. Nichts wird auf die Fläche zurückgeworfen. Selbst diese ist, da wo sie zweidimensional scheint, nicht in diesen Ausdehnungen zu halten. Beim näheren Hinsehen ist auch das ja nicht verwunderlich. Hat das nicht mit der eigenen Geschichte, mit der Geschichte des Materials zu tun? Stand nicht der Körper im Mittelpunkt der Keramik und zwar völlig unabhängig von der eingenommenen Distanz zur Tradition? Und, Moment, ist das nicht heute auch so?! Hier hilft uns auch das Wörtchen „noch“ nicht weiter. Und schließlich: Von welcher Tradition ist denn da die Rede?

Es gibt sicher eben soviel gute Gründe am Material festzuhalten, wie es Argumente gäbe dagegen. Denken und Arbeit bieten den Entwurf oder Gegenentwurf, ganz wie Sie wollen. Antje Scharfe tritt immer an, die Grenzen ihres Tuns auszuloten, der Wirksamkeit des eigenen Wollens nicht nur die Spur zu ziehen, sondern den Boden zu bereiten und auch immer wieder (und noch) aufzubereiten. Anmerkung: auch ins Bodenlose, warum denn nicht?! Und, bitte, Halt gemacht wird erst, wenn die freie Entscheidung durch die Grenzen des Materials infrage gestellt ist.

Uwe Warnke, Berlin 2003

Der Text ist nicht zu verstehen als Argumentationshilfe für einen ohnehin längst verlorenen und nur vermeintlichen Kampf, wie dem zwischen Tradition und Innovation, den Platzanweisern und Platzhaltern der Keramikzunft, der, wenn er denn geführt wurde, ein unsinniger war. Denn es gab gar nichts zu kämpfen. Zumindest nicht an dieser Stelle, nicht mit der Tradition, oder besser mit jenen Vertretern, die diese und nur diese als Argument zitieren und sie als hochgehaltene Fahne schwingen, dabei so vieles verkennen und den Blick aus dem Rückspiegel nicht abzuwenden in der Lage sind (zumal der Gegenverkehr so blendet).

Der Text ist ein Text. Und Erfolg ist ein Missverständnis. „Man hat schnelle Erfolge und braucht Jahre, um es (das Material, Anmerkung U.W.) zu überlisten.“(A .Scharfe)

Selbst die eigenen Erwartungen, bezogen auf Resonanz, Förderung, Austausch und Markt, verschob man auf und in vorhandene Strukturen – bis diese sich als unwirksam und unbrauchbar erwiesen. Aus diesem Sumpf wird sich nun, wie es heißt, am eigenen Zopf herausgezogen. Das ist mehr, als lediglich am Henkel und bedeutet viel, wenn man bedenkt, dass es anders nicht gelingt, dass es nur so gehen kann und deutlich Selbstbewusstsein schafft.

Uwe Warnke

Uwe Sarnow – Ick male wat ick sehe!

Uwe Sarnow: ein Berliner Maler.

Er war ein flüchtiger Bekannter, später ein Nachbar. Wir kannten uns von den Jobs der 80er Jahre im Osten Berlins. Verschiedene Verrichtungen hielten uns so über Wasser. Nur gelegentlich wurden wir gefordert. Damit ließen sie uns genug eigene Zeit. Hierum gings. Ein kleine verschworene Gemeinde, die ständig Tipps zum Überleben weitergab. Man brauchte sich. Der Kontakt war nicht eng. Den Ausstieg hatten man hinter sich. Nach den Gründen solchen Lebens wurde nicht nachhaltig gefragt.

Als ich erstmals mit den Bilder Uwe Sarnows konfrontiert wurde, überschnitten sich in mir zwei Biografien, die nicht wirklich zusammengehören wollten. Gab es hier ein zweites Leben? Doch tatsächlich erklärte sich erst jetzt das eine aus dem anderen: Die Beschäftigung mit Malerei seit der Steinmetzlehre, der Kontakt zu Eva Vent, seiner frühen Lehrmeisterin in Sachen Malerei, der Wunsch nach mehr Zeit zum Malen, der Ausstieg aus dem „bürgerlichen Leben“. Broterwerb und freies Schaffen, ein Nebeneinander das Umwege einfordert und Zeit frisst.

Die Berliner Schule ist tot. Die Berliner Schule lebt. Diejenigen, die den Begriff in der DDR geprägt, die ihn mit Bildern gefüllt haben, würden sich über die Lebendigkeit und über ein Bekenntnis zu ihr heute vielleicht wundern, tritt doch hier jemand an, den sie von keiner Kunsthochschule, von keiner der Ost-Berliner Verbandsquerelen, von keiner Ausstellung und auch von keinem Ausstellungsverbot der 80er Jahre her kennen. Und dennoch: Da ist ein Berliner Maler und der sieht sich klar in dieser Berliner Tradition.

Der Mensch, die weibliche Figur, der Akt insbesondere, sind für Uwe Sarnow ständige Herausforderung. Dabei ist auch eine nicht stillbare Sehnsucht unverkennbar. Der Maler kennt sein Motiv, sein Sujet und hält es uns in der von ihm erkannten Lebendigkeit hoch und vor. Da ist nichts Totes, nichts Verstaubtes. Selbst die Darstellung des Pferdes wird nicht ausgeklammert. Kein Zugeständnis und Umschiffen möglicherweise gefährlich versumpfter Kunstgewässer. Frisch gemalt.

Der scheinbare Griff in die Konvention ist nicht Rückgriff, sondern gilt ihm als etwas Fortzuentwickelndes. Herkunft wird nicht geleugnet. Da wird gearbeitet und sich gerieben. Nichts wird als endgültig behauptet, das Atelier offen gehalten, Moden nicht angenommen. Kein Trendsetting also. Kein früher Tod.

Seine Bilder sind immer Ergebnis eigenen Erlebens. Der Prozess ihrer Herstellung hat sich jedoch verändert. Anfangs folgte der Skizze die Vorzeichnung auf der Leinwand und dieser das fertige Bild. Aus der Komposition ließ der Maler vorsichtig das Bild entstehen. Diese Spur wurde langsam verlassen und der Spontanität mehr Raum gegeben. Jetzt wird der eigenen Lust selbstbewusst mehr vertraut. Die auf diese Weise entstehende neue Spannung wird offensichtlich ausgehalten. Die Malerei Uwe Sarnows entfernt sich so vom allzu Konkreten. Das direkte Abbildenwollen tritt in den Hintergrund. Die Bilder sind frischer geworden. Sie werden subjektiver und dennoch verallgemeinerbarer. Es sind gültige Ergebnisse, Berliner Bilder.

Uwe Warnke                                                            Berlin, Januar 2000

Annette Munk – So einfach ist das nicht.

So einfach ist das eben nicht. Die Stolperfallen sind in der Kunst genauso ausgebreitet wie in unserem Alltag. Selten so direkt wie bei Marcel Duchamps Installation „Dem gebrochenen Arm voraus.“ Jedoch immer einen Schritt vor den nächsten. Gewiss.

Unsere Sprachfunktionen und das ewige Sprechen-müssen und das Voranschreiten eines vermeintlichen Individualismus lassen einen immer öfter die Sprache verschlagen. Missverständnisse allüberall.

Meine Damen und Herren: Haushaltslöcher. Sind sie nun Thema oder sind sie Objekt? Was ist hier Hauptwort und was ist Nebenwort? Da macht es sich Annette Munk nicht leicht, wenn sie uns auch bei der Wortwahl ihres Ausstellungstitels auf den ersten Blick ins scheinbar Lapidare verführt. Das Lapidare – das Einfache. Haushaltslöcher – die kennen wir doch zu genüge. Meinen wir. Glauben wir. Es geht aber nicht um das Loch im Beutel, das uns die finanzielle Situation neu zu überdenken zwingt, nein. Dennoch – die Löcher, sie sind da, nicht zu übersehen. Sie sind prägend. So merkwürdig wie das klingt, aber sie halten etwas zusammen.

Aber zunächst einmal sind da Skulpturen, plastische Körper, die alle der Welt des gemeinen Haushalts entsprungen zu sein scheinen. Die Familie lässt grüßen. Und da sind wir mitten drin und haben sie direkt vor uns: „Ironman“, „Ladylike“, „Boy or Girl“. Diese Figurengruppen sind feste Größen und wirken wie Zitate. Es scheinen zwar alte Bekannte, aber Privatheit ist für Annette Munk kein zu bespielender Reigen. Wir haben es eher mit Archetypen zu tun. Doch vorsicht. Das Bügeleisen, flatiron, taucht hier vermittelt auf. Wir glaubten bislang es der weiblichen Welt zuschreiben zu können und erleben es hier als festen Bestandteil des Männlichen. So kann’s gehen. Es geht aber noch weiter. Der Ausschnitt des „Ironman“ wird zum umgekehrten Schild der Mitra, des Bischoffshutes. Und schließlich entsteht die Arbeit „Der Aufseher“. Das Feste, das Schwarze, das Finstere, schließlich das Konservative. Damit nicht genug. Um alles nun wieder zu öffnen, lesen wir ’Iron’ einmal deutsch und schon wird es zu Ironie. Alles ist in Bewegung. Nichts ist einfach. Das Einfache – das Schwere.

In der Ausstellung finden wir zahlreiche lebensmittelartige Dinge, Fruchtiges, Kekse, die Schnitte, die Steckdosen, schließlich Kreuzschraubenköpfe usw.. So konkret wie sie anmuten, kommen doch mittlerweile Zweifel auf, ob das so gemeint ist, wir es wirklich nur mit dem bloßen Abbild von etwas zu tun haben. Unsere Skepsis, die wir teilweise schon abgelegt haben weil wir uns in Bewegung gesetzt haben, weil uns etwas interessiert, wird schließlich durch die Verantwortung der Künstlerin überwunden. Bestenfalls ist das so in einer neuen Begegnung. Der Flickenteppich der von jedem einzelnen von uns natürlich unterschiedlich wahrgenommenen Realität treibt dann noch eigene Blüten. Wahrnehmung, Realität, Zweifel. Und dann auch noch das: je genauer wir etwas betrachten, desto weniger wissen wir darüber. Unschärfe.

Aber weiter. Da sind noch Nasen, Pferdestärken, die Wandzeitung. Da wir ja alle mal Wandzeitungsredakteure waren, wie Annette Munk kürzlich lachend sagte, wissen wir auch noch, dass und wie die Wandzeitung zu uns spricht. Eben, das tut sie auch hier. Aber erst die Farbe und die Löcher stoßen uns drauf, machen es möglich.

Löcher, Annette Munk spricht von frühesten Lochungen, von Figuren und Dingen, von Hohlkörpern, von aus der Fläche konstruierten Formen, schließlich einer Hülle um Nichts. Und das Loch, das auch auf das Innere oder ein Dahinter verweist, und dabei ein wenig in ein zunächst gar nicht aufgemachtes Geheimnis blicken lässt, ist nicht zuletzt Gestaltung, ist Ornament. Dabei zitiert sie manchmal geschickt bekannte Muster, setzt auch mal ein Klischee, dass uns verführt. Gelegentlich glauben wir Bescheid zu wissen.

Ist Annette Munk mit einer neuen Skulptur beschäftigt, haben zum Beispiel die absurden Seiten unserer Existenz, die Billigmärkte, die Wühltische, die so genannten ’praktikablen Lösungen’, ihr erneut Aberwitziges zugespült und ist damit eine Idee bereits in ihrem Kopf, ist die Umsetzung Reife- wie auch Findungsprozess. Die Suche nach dem richtigen Material ist gleichzeitig eine Suche nach Begriffen. Ein Spiel mit der Welt und ihren scheinbaren Bedeutungen. Ein Wörtlich-Nehmen. Ein Entdecken und gleichzeitiges Enträtseln. Ein permanentes Übersetzen nennt sie das. Sie kennen das ansatzweise auch. Unsere Sprache und unser Leben sind voll von solchen Verstrickungen. Da werden sie aufgefordert: „Streichen Sie mal die Fenster!“ Aber wehe sie tun es. Denn nur die Fensterrahmen sind gemeint.

Ich bin vor den Arbeiten der Künstlerin immer wieder irritiert. Irritation deutet das Irren an, schwächt es jedoch sogleich wieder ab. Da ist auch der Irrtum nicht weit und, natürlich, das Menschliche. Fallstricke sind dabei nicht ausgelegt, eher Handreichungen zur Überwindung der Distanz. Offenheit und Spaß. Das hat mich jedes Mal überzeugt.

Wie frau hier Zeitgeschichte und Zeitgenossenschaft miteinander verbindet – Achtung Stolperfalle! – ist schon einmalig. Die Installation „Wir hatten die Gleichberechtigung“ ist nicht nur eine Arbeit über ein Spezifikum in der DDR, sie ist schließlich eine hintergründige Installation über das Verhältnis der Geschlechter auch in der heutigen Gesellschaft. Wir sind aufgefordert nachzulesen, die Bücher in die Hand zu nehmen. Bitte tun sie das!

Dass es ihr gelingt, ihre Arbeit mit Humor zu verbinden, erleichtert den Zugang. Sie selbst sagt: „Verstehen ist möglich mit Lachen.“ Das wir dabei das Glatteis übersehen, auf dem wir uns – haste nich’ geseh’n – längst bewegen, ist eine raffinierte Methode, der selbst ich, der Redner heute hier, zu entkommen glaubte. Nix da. Mit gegangen mit gefangen. Aber, sich nämlich im Moment der irritierenden Erkenntnis neu Halt zu suchen, sich neu orientieren zu müssen, ohne in Deckung und damit auf Distanz zu gehen, ist der kreative Akt, der verlangt wird. Deshalb sind wir hier. Wir können reden und wir können fragen. Nichts einfacher als das?

Meine Damen und Herren, wie wir bewundernd feststellen, sind die Objekte, die Figuren und Dinge ausnahmslos hervorragend gemacht, großartig verarbeitet. Das Handwerkliche ist nicht zuletzt die Voraussetzung, um über alles weitere überhaupt erst ins Gespräch zu kommen. Dass das mit diesem Material, diesen Nadelfilzen, die so wenig zulassen und sich sperren, durchaus gelingt, wundert zuweilen Annette Munk selbst und damit entsteht die Erkenntnis, was doch alles so geht. Da wird auch Nudelteig zum skulpturalen Material. Ausgehend von dem Begriff der ’Teigtasche’, enthebt die Künstlerin die Bedeutung ihrem Umfeld und gelangt so zum Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Schöpfung. Das Wort trifft Material und wird zur Tasche im Kleinstformat. Das wird variantenreich vorexerziert und damit zum Alfabeth.

Dass Annette Munk bei ihrem Tun den Platz ihrer Arbeit in der Gesellschaft nicht aus den Augen verliert, ja ihn teilweise geradezu provoziert, ist mir ein nächster Vorzug. Diese Frage und dieses Suchen danach scheint mir im Übrigen auch etwas zu sein, dass sich durch die Arbeit Erik Stephans und des Jenaer Stadtmuseum geradezu verantwortungsbewusst zieht. Auch um den Spaß an der Kunst nicht zu verlieren. Als weithin leuchtendes Beispiel gewissermaßen.

Und schlussendlich geht es beim Aufstellen der Arbeiten in neuen Räumen, also auch hier, immer um das Finden von Zusammenhängen, auch neuen Zusammenhängen; bestenfalls auch für die Künstlerin. So gesehen, sind es immer auch einmalige Installationen.

Als ich vor gut einer Woche aus dem Atelier von Annette Munk kam und den Bahnsteig der nahe gelegenen U-Bahn-Station erreichte, klebten an den durchsichtigen und heilen Glasscheiben einer Doppeltür, die Löschgeräte und ähnliches zu schützen versuchte, zwei warnende Zettel mit der Aufschrift: Vorsicht – Frisch gestrichen. Ich sah mir die Szenerie noch einmal an, zog den Kugelschreiber und ergänzte: Eben nicht.

Uwe Warnke, Jena, 07.12.2007

gehalten in den Städtischen Kunstsammlungen Jena