Ich bin mir nicht mehr sicher, wann ich Guilermo zum ersten Mal begegnet bin. Sicher ist nur, daß es Karla Sachse war, die, 1987 beschäftigt mit der Zusammenstellung der ersten Ausstellung internationaler Visueller Poesie in der DDR, mir, nach Zurkenntnisnahme der Dinge die ich da so trieb, von editorischen Aktivitäten um einen für mich unbekannten Chilenen namens Guillermo Deisler aus Halle erzählte. Es sollten dann noch ein paar Monate vergehen, bis im von mir herausgegebenen Projekt ENTWERTER/ODER Nr. 32, Dezember 1988, Arbeiten von Guillermo zu finden waren. Ebenso hatte ich mich zum ersten Mal in Heft 3/1988 an seinem Projekt UNI/vers beteiligt. Von Beginn an gab es nie Probleme mit der Akzeptanz. Geschult im Umgang mit der Mail Art und auch aktiv in ihr, sah Guillermo den Prozess des Schaffens, des Machens und Mitmachens als das entscheidend Kreative an. Er bewegte sich damit nicht in der Höhe sondern in der Breite. Das war ihm ganz offensichtlich wichtiger. Auch mit dieser Haltung lassen sich Qualitäten erarbeiten. Diese kommen sehr viel aus seiner Vorbildfunktion in künstlerischen Dingen wie auch der als Motor und Antrieb. War es nicht sogar so, dass dieser aus der Fremde kommende Künstler, den in Lethargie befindlichen Autoren und Künstlern in Halle und Umgebung, deutlich machte, welche doch guten Bedingungen sie eigentlich hier hätten und was man aus und in diesen so alles machen könne?! War er es nicht, der dadurch das er einfach anfing und etwas machte, obiges dann auch bewies? Man kann wohl soweit gehen zu sagen, dass es den heutigen Stand der Buchkunstszene in Halle ohne ihn so nicht geben würde.
Der Text war für Guillermo nicht mehr wichtig. Zu oft hat er wohl den Missbrauch desselben erlebt und erfahren. Übrig blieb die Geste, das Moment, der Akt, die Kunst.
Das ans Kreuz geschlagene Buch oder das zum Kreuz selbst werdende Buch. Wie oft haben wir diese Aktion von Guillermo gesehen? Genauso war es ihm aber möglich, eine andere, nämlich die Entleibung des Buches, das Herausreißen seiner Seiten, zu zelebrieren. Keine mathematische Aneignung von etwas, sondern nach der Vernichtung das schmerzliches Wiederbeleben und ebenso kritische Deutlichmachen eigener, im Gegenüber zum Europäer, in der sehr fernen Heimat gemachter Erfahrungen? Das Erzeugen des Schmerzes im Zuschauer?
Berlin 1996