Buchkunst im Osten

Österreich und den Osten Deutschlands verbindet die Erfahrung, nicht ohne den Marktplatz Westdeutschland auszukommen. Ein Gemeinplatz, der den historischen Standort Leipzig ohne gewaltige Investitionen einbrechen ließe und den Westteil Berlins immer noch zu einer strukturellen Insel macht. Das ist so und es fällt schwer, dies anders zu denken.

Zwischenbemerkung 1: Mittlerweile ist hier etwas im Flusse.
Plumpes Zitat: „Leipzig kommt.“

Wir Künstler, Autoren und Büchermacher wurden und werden längst außerhalb unserer kleinen Szenen auf internationalen Ausstellungen und Messen wahrgenommen. Dass wir in den Achtzigern offensichtlich Sammlerstücke produzierten, war eine Wendeerfahrung, die einige zu Geld kommen ließ und für andere hieß, das Büchermachen zu beenden. Letzte Exemplare waren schnell verkauft. Schnäppchen-Zeit.

Anmerkung 2: Weg ging damals auch das bislang Unverkäufliche. Abräumzeit.

Büchermachen war im Osten Deutschlands auch das Behaupten eines vermeintlich selbstbestimmten Freiraumes. Mit Schreibmaschine, Bleistift, Papier, Feder, Pinsel, Tusche und Farbe entstanden Bücher. Und diese waren nicht für einen Markt gemacht. Das ist belegt und anerkannt. Der einzige Wechsel, die einzige Anpassung die nun passierte, ist die, hin auf diesen Markt. Dieser ist jenen offensichtlich bekommen, die da weitergemacht haben, wo sie gar nicht erst aufgehört hatten und bereitet anderen Schwierigkeiten, für die er zu sehr zum Kalkül geworden ist.
Neu sind also ein Markt, die Konkurrenz, die neuen Preise (für uns erstmals auch gestiftete (Stomps / Tiemann / Schönste Bücher) und natürlich unsere neuen, den neuen Lebens­bedingungen angepasste Verkaufspreise.
Neu ist auch, so kann man sagen, dass es eine Zeit lang den ostdeutschen Kunstsammler nicht mehr gab. Er hatte eine Weile lang andere Sorgen (neue Bedürfnisse, Reisen, Auto, evtl. keine Arbeit u.a.m.). Zu dem sind außerkünstlerische Sammelgründe, politische, wie auch eine vage Unterstützung des Subversiven, weggefallen.

Ergänzung 3: Hier konsolidiert sich etwas neu. Zwar ist eine Langsamkeit dieses Prozesses zu beobachten, aber immerhin auch nicht zu leugnen.

Die Sammlungen, Bibliotheken und Museen im Osten Deutschlands versuchen, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Natürlich fällt es schwer, wenn anhaltende Ausgabenstopps die Verantwort­lichen zum Stillhalten zwingen, die Budgets nicht erwähnenswert bleiben und sogar die Reise zu und der Besuch ihrer Fachleute auf Buchmessen aus deren eigenen Taschen bezahlt werden müssen.

Einschub 4: Die Budgets schrumpfen ins immer Unerwähnenswertere hinein. Das schon längst nicht mehr neudeutsche Wort Nullwachstum ist hier noch zu positiv gedacht.

Durchgreifend verändert haben sich die angewendeten Techniken bei der Buchherstellung. Die Schreibmaschine als „Printmedium“ ist vollständig dem Laserdrucker, der Andruckpresse oder dem Rakel, dem Stein und anderem gewichen. Das ist auch gut so. Dritte und vierte Schreibma­schinendurchschläge habe ich in Kunstbüchern nicht mehr entdecken können. Es erübrigt sich dann hoffentlich zukünftig auch die Frage der Museologen, wie lange so etwas dem Zerfall wohl Widerstand wird leisten können.

Notiz 5: Manchmal glaube ich, wir sollten hier zumindest hin und wieder auf solche Dingen zurückkommen. Dies weitergedacht bedeutet auch, wieder Lesungen in Wohnungen zu veranstalten (wovon übrigens seit geraumem zumindest in Berlin nicht nur die Rede ist).

Die Szene original-graphischer Zeitschriften, in den Achtzigern gekennzeichnet  durch den Ausstieg aus dem politischen Diskurs und gerade dadurch Hort intellektuellen Widerstands, gibt es so nicht mehr. Geblieben sind solitäre Erscheinungen.
Eine Auseinandersetzung mit dem Material aus der DDR, mit den einzigartigen Produkten, die Ergebnis eben dieser DDR-Ästhetik sind, hält an. Erneut wurde mir die Frage gestellt:„Wo hast du denn das noch herbekommen?“ Ein Frage, die so überdeutlich eine DDR-Aura schafft, dass ich nicht umhin kam zu antworten:„Das habe ich mir ´organisiert´!“ Im Dialog wie in der Buchproduktion findet wieder ein Spiel mit der jüngsten Vergangenheit statt.
Dennoch: ein bisschen mehr Glanz, auch im Material und größere Perfektion in der Verarbeitung, sind nicht zu übersehen. Aus neuen Erfahrungen entstehen neue, andere Büchern. Diese führen weg von den großen Würfen der achtziger Jahre, weg von den existentiellen Erfahrungen.

Glosse 6: Dieses zieht  nun mittlerweile den Vorwurf nach sich, wir hätten uns vom ästhetisch Wahrhaftigen, Spröden und vielleicht auch Sperrigen allzu weit entfernt und die Dinge würden zu glatt, zu nett usw. Schon greift der Sammler ins weiter Östliche, wo Ursprünglichkeit er vermeintlich zu finden glaubt.

Ich komme nicht umhin dabeizubleiben und auch dies noch zu erwähnen. Ich schiebe nach.

Marginalie 7: Schlechtes und billiges russisches Pack- und Schreibpapier wird und das vermutlich nicht nur in Deutschland, als italienisches Designerpapier zu interessanten Preisen an die sensible Frau und den empfindsamen Mann gebracht.

Zu beobachten ist aber auch eine breitere Auffassung von dem, was unter Buch verstanden werden kann. Sein Rahmen wird gesprengt, die Form in Frage gestellt, „ein Text findet nicht unbedingt mehr statt“. Also: mehr als Buch oder Kassette, mehr als Text-Grafik-Edition, auch wenn diese und das „bibliophile Buch“ (Stichwort: schwarze Kunst, Handwerk also) deutlicher Raum greifen.
Bei all diesem musste ein deutsch-deutscher Gedankenaustausch nicht erst noch animiert werden. Wie selbstverständlich passierte und entwickelte sich ein Miteinander, eine Zusammen­arbeit gleichberechtigter Partner. Die Annäherung war von beidseitigem Interesse, wir nehmen uns ernst und das, seit dem wir uns kennen.
Und schließlich zieht Internationalität ein. Das Interesse ist groß an und in  alle/n vier Himmelsrichtungen. Dass hier ein Nachholbedarf besteht, leugnet niemand.

Uwe Warnke, Berlin, den 06.05.1996

Fußbemerkung:
Überarbeitete, aktualisierte Fassung eines Textes des Katalogs der 6. Triennale des zeitgenössischen deutschen Kunsthandwerks, Frankfurt/Main und Leipzig, 1994/95
Neufassung veröffentlicht in der Sonderedition  „?sprachlos / spruchlos / sprich los!“  (25 Expl.) anlässlich der gleichnamigen Ausstellung von Thomas Günther und Uwe Warnke in der Galerie Druck & Buch, Tübingen 1996