Rede in Rheinsberg

Poesie des Untergrunds

Das Ding war so einfach nicht. Wir hatten zwar eine Ausstellung vor Augen, gingen auch sogleich an die Arbeit, glaubten zunächst unwidersprochen die Sache fest im Griff, schließlich galt es ja nur sich hinreichend zu erinnern – und sahen uns doch gelegentlich im Nebel stochern, klare Grenzziehungen verlieren –

Hatte nicht der große Adolf Endler bereits im Frühjahr 1989 in KONTEXT geschrieben:

„ … ALLES IST IM UNTERGRUND OBENAUF; EINMANNFREI … “;

Ergänzte nicht Klaus Michael im selben Jahr: „Der Überbau ist entmachtet, der Untergrund ist tot.“ –

Und hatten nicht andere gesagt und geschrieben, ‘84 sei schon alles vorbei gewesen? Was bedeutete das jetzt? Die Überzeugung und das Wissen, was es zu tun gilt, hat uns schlussendlich nie verlassen und zu Resultaten geführt. Dabei hatten und haben wir immer noch den faden Nachgeschmack mancher Erinnerungsschau, die allzu schnell aus dritter Hand in den 1990ern zusammengestellt oder in diesem Jahr hoch offiziell von BILD bezahlt und der alten und neuen Kanzlerin auch noch eröffnet, wo das Fehlen eines poetischen Aufbruchs der 1980er Jahre nicht einmal als Manko wahrgenommen wurde, weil, wer einmal in Unkenntnis sein Weltbild baut, nun nach Gutsherrenart nichts anderes mehr zur Kenntnis nehmen kann und will, gut in Erinnerung und glaubten eine zusätzliche Berechtigung vorweisen zu sollen, die bedeutet, aus dem Zentrum der Bewegung, von den Protagonisten erarbeitet, sei es nun einmal an der Zeit, selbst die Hand und das Wort zu erheben, Deutungshoheit über das eigene Tun, wie auch Christoph Tannert am Freitag vor einer Woche in Berlin richtig formulierte, zurückzuerlangen; mit dem wirklichen Leben, zumindest seinen Erinnerungen und den dazugehörigen Artefakten, der Stumpfheit reinen Aktenstudiums lebendig zu begegnen.
Mut, Trotz, Beharren und Einfordern simpelsten Rechts, Provokation, einmischen also   –   und dabei immer gestalten wollen, ein Subjekt formulieren, das seinen Platz behauptet, so schwierig das auch war. Elke Erb spricht im Vorwort zur berühmten Anthologie Berührung ist nur eine Randerscheinung, die 1985 nur im Westen erscheinen konnte:
„Dieses neue Selbstbewusstsein lässt sich nicht bestimmen und begrenzen von dem System, dessen Erbe es antritt. Seine soziale Reife ist die Konsequenz des Austritts aus dem autoritären System, der Entlassung einer Vormundschaft eines übergeordneten Sinns.“
Das war kein Spiel, das war ernst. „Die Situation war nicht tanzbar.“, wie es später in unserem gerade erschienenen Buch   Die Addition der Differenzen  heißen wird. Die Sicherheitsorgane taten wie ihnen befohlen und viele von uns verließen nach wie vor das Land. Die Hiergebliebenen versuchten dem Alltag zu entkommen und irgendwie aus der neuen Situation ein Privileg zu schlagen. Dies ging eigentlich nur in der Hauptstadt, der Frontstadt Berlin. Stefan Döring beschrieb dies lakonisch schon 1982 so: „ich fühle mich in grenzen frei.“
Die uns beschäftigenden Lebensverhältnisse sind dabei eher als prekär zu beschreiben. Das war dennoch kein Problem, denn das Leben kostete nicht viel, so dass Akteure und Kunstfreunde sich auf Augenhöhe begegneten.

Eine Haltung, die sich als ein großer Vorzug herausstellte, war, nicht mehr enttäuscht werden zu können. Hoffnung war aufgegeben worden und stand nun auf einem anderen Blatt. Jenem, das sich wenden konnte, gegebenenfalls.
Über andere, die dies so nicht hinbekamen, hieß es schnell, sie quälten sich. Ich kann auch diesen bis heute meinen Respekt nicht verhehlen.
Und wir? Unsere Jugend verging und wir waren zunehmend mit unseren Projekten beschäftigt. Gaben trotz allem Bücher in kleinen Auflagen heraus, gründeten illegale Zeitschriften, tauschten und verteilten diese zwischen Wismar und Karl-Marx-Stadt, nutzten Kanäle in den Westen, verkauften an Sammlungen in Ost und West und Übersee, gingen zu illegalen oder privaten Wohnungslesungen, sahen ebenda Theateraufführungen oder Ausstellungen, feierten, hörten handgemachte Musik, tranken, liebten. Gegen Ende der 80er Jahre war schon vom Zeitschriftenunwesen die Rede und einige Künstler, mittlerweile auch ziemlich einträglich nur noch mit Künstlerbüchern auf Einladung und verschiedenste Initiative hin beschäftigt, sprachen schon von ihrem Jahr des Buches. So bekam das Leseland DDR einen neuen Sinn. Das Verbindende dabei, bei aller Differenz, war, das der Markt zunächst schlicht keine Rolle spielte. Kunst, so glaube ich bis heute, entsteht nur so.

Plötzlich waren all diese Produkte Zeugnisse – und diese von großer Relevanz, weil ohne Auftrag und ganz aus sich selbst entstanden. (Sie sehen sie hier zahlreich in den Vitrinen). Manche berührend einfach, opulent die anderen. Auch wenn es gelegentlich ein Elitestatus oder ein Gefühl von Avantgarde durchaus gab, so sind die Produkte nie luxuriös. Dennoch kommen wir heute nicht umhin, das Museale an ihnen hinnehmen zu müssen und schließlich abzunicken. Das man in diesem Zusammenhang auch von einem abgeschlossenen Sammelgebiet spricht, liegt in der Natur der Sache. Auch hiervon darf man sich den Blick nach vorn nicht verstellen lassen. Hans Scheib hierzu schon 1990: „ZURÜCK ist keine vernünftige bewegung.“
Eine erste Ausstellung zum Thema   poesie des untergrunds     ist im Museumsverbund Pankow in der Prenzlauer Allee 227/228 vor acht Tagen eröffnet worden und dort noch bis zum 07. Februar 2010 zu sehen. Die zweite komplett neue Ausstellung eröffnen wir heute hier. Sie ist noch bis zum 14. Februar zu sehen. Das Stadtmuseum Jena erwartet uns als bisher letzte Station im Frühjahr 2010.

Gestatten sie mir noch zwei wichtige Stimmen als Zitate zum Schluss. Beide aus dem Buch Zersammelt, einem Sammelband gleichnamiger Veranstaltung im Berliner Brecht-Haus von 2001:

Andreas Koziol schreibt unter der Überschrift Ankunft ist nur eine Randerscheinung:

„Aus den linguistischen Mauerspechten des alten DDR-Systems sind im Laufe der Jahre noch seltsamere Vögel geworden. Sie tragen die Federn der Entfremdung von ihren ideologischen Rabeneltern auf den freien Meinungsmarkt und locken damit die Grünschnäbel an…     /    …sie hacken sofort auf den Finger, auf den sie sich setzen…“

und   Annett Gröschner im selben Band unter der Überschrift Szenenwechsel:

„Mein Alptraum war immer ein Altersheim, in dem wir am Ende alle sitzen. Es gibt eine Kantine mit Pelmeni und Tomatensuppe und einen Bierausschank an dem die Sozialhilfe versoffen wird. Eine Ausnüchterungszelle, einen Toberaum und einen Friedhof hinter dem Haus. Leute, die das Gesetz der Szene missachten, werden für 48 Stunden in eine Zelle gesperrt, nicht ohne vorher einem Tribunal beigewohnt zu haben.“

Es ist unter dem Titel  Die Addition der Differenzen  ein Buch zur Ausstellung erschienen, das etwa 30 Aufsätze enthält. Die meisten davon sind aktuell für dieses Buch geschrieben, also Erstveröffentlichungen. Mit zahlreichen Abbildungen versehen ist das Buch für 19,90 € auch hier zu erwerben.

Uwe Warnke, Berlin/Rheinsberg, 18. November 2009