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Uwe Steinberg

Der Fotograf Uwe Steinberg (1942 – 1983)

Werkstatt

Der 1942 geborene Uwe Steinberg gehört neben Sibylle Bergemann (1941-2010) und Christian Borchert (1942-2000) zu den interessantesten Fotografen seiner Generation[1]. Diese drei sind unterschiedliche Wege gegangen, haben ihre Liebe zur Fotografie und ihren Platz oder auch ihre Plätze in der DDR gesucht, eingenommen und wieder verlassen, haben Angebote wahrgenommen und die Grenzen ihres offiziellen Tuns im Laufe der Zeit erkannt und unterschiedlich darauf reagiert. Es ist außerordentlich erstaunlich, wie, bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Arbeitsweisen und unter den Verhältnissen der DDR-Medien- und vor allem Kontrolllandschaft, sie ihre eigenständigen, qualitativ hochwertigen Bildwelten entwickelt haben. 

            Sie sind alle drei vor ihrer Zeit gestorben. Alle drei haben ein Werk hinterlassen. Uwe Steinberg ging als erster. Er starb mit 41 Jahren 1983 an den Folgen eines Verkehrsunfalls in Budapest.

Wir können den biografischen Hintergrund Uwe Steinbergs nicht übergehen, wenn wir, wie ich glaube, verstehen wollen, warum er welche Haltung zur Fotografie und zur Gesellschaft eingenommen hat.

            1942 in Breslau geboren wuchs er in einem kommunistischen Haushalt auf. Der Vater, Werner Steinberg, war Schriftsteller und Mitglied der KPD. Aus der Festung Breslau flieht die Familie 1944 mit dem zwei Jahre jüngeren Bruder Detlev Richtung Westen. Uwe Steinberg  wird in Hessen eingeschult. Hier, so heißt es, soll er angefangen haben zu fotografieren. 1956 wird in der Bundesrepublik Adenauers das KPD-Verbot erlassen und Werner Steinberg zieht mit der Familie in den Osten. Über Leipzig gelangen sie nach Dessau. Wir schreiben das Jahr 1959.     Auf der Suche nach Gleichgesinnten wurde Uwe Steinberg 1960/61 Mitglied der Fotoleistungsgruppe „novum“ des Kulturbundes[2] in Dessau. Im Jahr 1961, er hat gerade sein Abitur gemacht, findet er einen Einstieg als Praktikant bei ADN[3]-Zentralbild[4] in Berlin, der einzigen in der DDR zugelassenen Nachrichten- und Bildagentur.

            In dieser Zeit, er ist 19/20 Jahre alt, orientiert er sich an aktueller polnischer Fotografie. Die darin zu findende Subjektivität interessiert ihn. Kollegen waren ob dieser von ihm gemachten Bilder schockiert, wird ihm zugetragen. Es entsteht die Meinung bei ADN, er sei mit dieser Haltung in einer sozialistischen Bildagentur fehl am Platz. Man spannt ihn jedoch mit Horst Sturm[5], dem zu der Zeit besten Fotografen der Agentur zusammen, der eine Art Mentorschaft für ihn übernimmt. Diejenigen, die das Talent in ihm erkannten, hatten sich offensichtlich durchgesetzt. Uwe Steinberg macht in der Folge eine Ausbildung als Bildreporter.

            Langsam verändert sich Steinbergs Auffassung vom Medium Fotografie. Mit der propagierten „Grundaufgabe der Fotografie in der sozialistischen Gesellschaft“ und der damit im Zusammenhang stehenden Massenbeeinflussung kann er lange nichts anfangen. Aber er ist zunehmend bereit, sich und seine Fotografie in den Dienst einer Gesellschaft, die er abbilden aber auch verändern will, zu stellen.

Pressefotografie in der DDR befand sich in einem ständigen Zwiespalt zwischen der Indienstnahme bei der Alltags/Auftragsarbeit und der künstlerischer Freiheit bei den wenigen ideologiefreien Aufträgen. Somit stellte sich nicht selten Selbstzensur ein. Die dabei fehlende Qualität stieß nicht nur bei den jüngeren Fotografen zunehmend auf Kritik. Aus erster Hand erfährt Uwe Steinberg 1965 die endlosen Diskussionen um die Gründung der Fotografengruppe „Signum“[6], die sein Mentor mitgründete. Sie kann als ein Versuch gelten, aus diesem Dilemma herauszukommen. Erfolglos, könnte man sagen. Sie wurde von Funktionären nach nur vier Jahren 1969 aufgelöst.

Doch gleichzeitig fand sich unter aktiver Mitwirkung Uwe Steinbergs eine jüngere Generation von Fotografinnen und Fotografen zusammen, die noch im selben Jahr die „Gruppe Jugendfoto Berlin“[7] gründete. Der Ansatz war der gleiche wie in der Gruppe zuvor: glaubwürdiger Bildjournalismus. Diese Gruppe wird es zehn Jahre geben. Sie löst sich 1979 auf.

Uwe Steinberg war in dieser Zeit zur Neuen Berliner Illustrierten[8] (NBI) gewechselt, kann reisen, macht Bücher. Er fotografiert nun in Farbe und ist mehr und mehr anerkannt. Während er erfolgreich Bildserie um Bildserie abliefert, öffnet sich immer wieder sein subjektiver Blick auf den Gegenstand vor der Kamera, auf überraschende Bildlösungen, auf das Zufällige und auf den einzelnen Menschen. 1979 wird Uwe Steinberg Mitglied im Verband Bildender Künstler der DDR[9] (VBK). Diese Aufnahme bedeutete auch, dass seine Fotografie weit über die Ansprüche alltäglicher Pressefotografie hinausging und dass das von seinen Künstlerkollegen ebenfalls so gesehen wurde.

            Jürgen Hohmuth, ein Fotograf der nächsten Generation, sagt über ihn: „Als junger Fotograf habe ich Uwe Steinberg in den frühen 1980er Jahren kennengelernt. Es war für mich ganz erstaunlich zu sehen, wie er von der Zeitungs- und Zeitschriftenfotoauftragsarbeit einfach umschalten konnte und dann seinen ganz subjektiven, persönlichen Fotografie- und Bildinteressen nachging.“

            Christian Borchert, derselben Generation wie Steinberg zugehörig und Mitglied in der „Gruppe Jugendfoto Berlin“, kann zu dieser Zeit die Ansagen der Bildredakteure in den Zeitungsredaktionen: „Wir und nicht du entscheiden, was wir den Lesern zumuten und wie wir das Leben aussehen lassen“, kaum mehr ertragen, und verabschiedet sich Anfang der 1980er Jahre komplett vom Bildjournalismus und wendet sich eigenen Projekten zu.

            Werkstatt – der Begriff wird Ihnen im Ausstellungstitel aufgefallen sein. Aufgrund des plötzlichen Todes des Fotografen lag uns natürlich kein vom Künstler geordneter Nachlass vor. Aus diesem Konvolut sind alle Schwarz/Weiß-Abzüge, die Sie hier sehen. Es sind allesamt Arbeitsabzüge. Gelegentlich fanden sich kleine Notizen auf den Rückseiten, Nummerierungen, selten Titel, Ort oder Jahr. Das ist ein Grund, warum wir auf jegliche Art von Chronologie des Entstehens der Bilder und auf Betitelungen verzichtet haben. Hier und da treffen sie auf das gleiche Motiv in anderen Zusammenhängen. Der Fotograf probiert, vergrößert, legt Ausschnitte fest und stellt neu zusammen: Auch das verstehen wir unter Werkstatt.

            Wir hoffen mit der Ausstellung einen Einblick in die Arbeitsweise eines Künstlers geben zu können, dessen grundsätzliche Bearbeitung seines Werkes noch aussteht. Das komplette Negativarchiv von Uwe Steinberg liegt zum Beispiel noch ungesichtet im Deutschen Historischen Museum und wartet darauf gehoben zu werden. Wir dürfen gespannt sein.

            In dem uns vorliegenden Konvolut stießen wir auf eine Vielzahl von auf Pappen vormontierter Bildpaare. Wir fanden keinen Hinweis, mit welchem Zweck diese zusammengestellt wurden, wessen Text eventuell dazuzustellen wäre oder ob eine Veröffentlichung vorgesehen war. Das bleibt alles im Dunklen. Aber, wir können einem Fotografen beim Arbeiten zu sehen – was er wie zusammenstellt, wem er sich zuwendet, welche Wichtungen er vornimmt – und auch, was auf den Bildern nicht stattfindet. Auffällig ist, dass jenseits der Prägungen des Kollektivs es doch immer wieder der und die Einzelne ist, denen er sich zuwendet; und zwar mit großer Empathie, ohne Effekt und ohne Pathos.

            Besonders, wir haben es Seite für Seite reproduziert und an die Wand gebracht, möchte ich Sie auf das unikate Foto-Text-Buch „ein wenig mensch“ hinweisen, das in der Frühzeit seines Wirkens und zwar 1963 von ihm geschaffen wurde. Steinberg war da 21 Jahre alt. Ein Textausschnitt Wolfgang Borcherts begleitet, kommentiert, befragt montierte schwarz/weiße Fotografien und umgekehrt. Der Text kreist um den Sinn menschlicher Existenz: wer sind wir, warum sind wir, wofür sind wir? Er stellt Fragen und bleibt vage. Uwe Steinberg unternimmt den Versuch, mit seinen Bild-Text-Kombinationen Antworten zu geben. Das Fragezeichen des Eingangssatzes des Buches „sind wir ohne sinn“ ist hier durchgestrichen. Die beiden letzten Worte am Ende des Buches entlassen uns dann in die Verantwortung: „Du? Du!“

            Dieses Buch stellt in der Fotografiegeschichte der DDR als auch in der Geschichte der Buchkunst ein absolutes Novum dar. Uwe Steinberg muss gewusst haben, dass es so nicht gedruckt werden würde. Diente es also als eine Art Selbstvergewisserung? Im Jahr 1975 schreibt er rückblickend, dass er in seiner fotografischen Frühzeit sehr beeindruckt von Veröffentlichungen in polnischen Publikationen war. Er spricht dort von „reizvollen Bildern von allen Winkeln gesehen“. Ist dieses Buch seine Antwort darauf oder doch zumindest der Versuch, dort ästhetisch anzukommen?

            Meine Damen und Herren, wir wissen nicht, welchen Weg Uwe Steinberg unter den Bedingungen und der Atmosphäre des Stillstandes, des Auf-der-Stelle-Tretens der letzten Jahre in der DDR gegangen wäre und auch nicht, was er danach gemacht hätte. Es ist nur aus einigen angefangenen, unfertigen Projekten abzulesen, das sich seine Subjektivität und seine frühen Versuche mehr und mehr Bahn brachen.

            Genau das interessierte uns.

                                                                                              Vielen Dank!

Uwe Warnke, Berlin 2023

Eine Ausstellung im Willy-Brandt-Haus, Berlin, 04.03. – 07.05.2023


[1] Natürlich sind da noch Helga Paris (*1938) und Roger Melis (1940-2009) zu nennen.

[2] Kulturelle Massenorganisation in der SBZ und DDR. 1945 als „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ von Johannes R. Becher und anderen Intellektuellen gegründet. 1990 aufgelöst. Wird als Verein fortgeführt.

[3] ADN. Der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN) war neben Panorama DDR die einzige zugelassene Nachrichten- und Bildagentur der DDR.

[4] Zentralbild (abgekürzt ZB) wurde 1952 gegründet. Sie war fortan bis zur Wiedervereinigung die einzige Bildagentur der DDR. Sie wurde ab 1956 ein Teilbereich des ADN. 1991 wurde Zentralbild an die dpa verkauft und besteht bis heute als eigenständige Foto- und Bildagentur unter dem Dach der dpa fort. Das Archiv von Zentralbild wurde in das Bundesarchiv überführt.

[5] Horst Sturm (1923-2015) war ein deutscher Fotograf, langjähriger Bildreporter bei ADN und einer der erfolgreichsten Fotoreporter der DDR.

[6] Signum. Eine von 1965 bis 1969 bestehende Gruppe, die die renommiertesten Pressefotografen der DDR versammelte. Anfangs 14 später 21 Mitglieder. Sie wurde nach wachsender Kritik von Funktionären aufgelöst.

[7] Auch Gruppe Jugendfoto genannt, bestand aus den Fotografen Christian Borchert, Ulrich Burchert, Heinz Dargelis, Volker Hedemann, Martina Kaiser, Eberhard Klöppel, Peter Meißner, Bernd-Horst Sefzik, Detlev Steinberg, Uwe Steinberg, Wulf Olm und Manfred Uhlenhut. Die Gruppe gehörte zum Zentralrat der FDJ, der Jugendorganisation der DDR. Die Gruppe löste sich 1979 auf.

[8] NBI. Eine 1945 gegründete und die bis dahin erschienene Berliner Illustrierte Zeitung fortführende Illustrierte mit breitem kulturpolitischem Spektrum.

[9] VBK. Verband Bildender Künstler der DDR, eine berufsständische Organisation und Interessenvertretung für Künstler, 1950 innerhalb des Kulturbundes gegründet. Existierte als eigenständige Künstlerorganisation von 1952–1990 mit Sitz in Ostberlin. Die Fotografen waren in der Sektion Gebrauchsgrafik organisiert. Gründung einer eigenständigen Arbeitsgruppe Fotografie erfolgte erst 1981.

Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild ist ein Bild

Zustandsbericht eines Kurators zu analogem und digitalem Fotografieren[1]

Uwe Warnke

Es werden heute sehr viel mehr Bilder gemacht als noch vor 30 Jahren. Menschen jeden Alters, sobald sie ein Smartphone halten können, machen Bilder. Wir kommunizieren mittels Bildern. Es ist von Bilderflut die Rede, eine Vervielfachung der Bildautorschaften damit die Folge. Die Erfindung sogenannter sozialer Plattformen hat das beschleunigt und alltäglich gemacht. Das Bild, das Foto, Manipulationen eingeschlossen, wurde zum schnellen Ausdrucksmittel für Jedermann.

Die Veränderungen stellen einen Prozess dar, der ein permanenter ist. Dabei hat die Entwicklung der Technik einen starken Einfluss auf die Fotografie. Der Vormarsch oder Durchmarsch des Digitalen hat sie bereits verändert.

„Die Digitalfotografie in den 1990er Jahren technologisch eingeleitet, ab den 2000er Jahren sich im professionellen Bereich, später auch bei Amateurfotografen adaptiert“, wie aktuell bei Wikipedia zu lesen ist, „veränderte die Fotografie nachhaltig. Sie veränderte als ein disruptiver Prozess die Fotoindustrie, die Bearbeitungskette und vor allem die Nutzung. Statt eines chemischen Films war nun ein Bildsensor Speicher der Fotografie. Digitale Bilder können nun beliebig auf den Computer übertragen und auch mit digitalen Bildbearbeitungsprogrammen bearbeitet (oder manipuliert) werden. Dies dürfte auch die Qualität der Bilder beeinflusst haben, denn Kamaraautomatik oder nachträgliche Bildbearbeitungen konnten nun Fehler beim Entstehen der Aufnahme ausgleichen.“[2]

Der Text hält fest, dass die Qualität der Bilder beeinflusst würde, stellt die Aussage aber in den Konjunktiv. Er sagt nicht, in welche Richtung und was genau darunter zu verstehen ist. Auf der Seite der Handhabung und der technischen Ausrüstung, ist dem sicher zuzustimmen, aber ob allein durch einen elektronischen Automatismus die Steigerung der Qualität der Bilder als subjektives Ausdrucksmittel einhergeht, mag an dieser Stellen bezweifelt werden.

Ein Nerd könnte einwenden, das digitale Bild sei nunmehr nur noch (oder neuerdings) eine Summe von Informationen, nämlich von 0 und 1. Falsch ist das nicht. Auf dem Speicherchip stellte es sich so dar. Aber beschreiben wir einen Barytabzug auf Silbergelatinebasis als Konglomerat von Molekülen, Reaktionen auslösende Lichtquanten; und dass die Silber-Ionen in den Silbersalzkristallen der Fotoemulsionsschicht zu metallischen Silberatomen reduziert, im Entwickler autokatalytisch vergrößert werden usw.? Hilft uns das hier weiter? Ich glaube, zumindest fürs Erste, nicht.

Besuchte ein Kurator bis weit in die 1990er Jahre Fotokünstlerinnen und Fotokünstler die schwarz-weiß fotografierten, so traf man auf ein Werk, dass in wunderbaren Silbergelatineabzügen[3], zumindest für den Teil, der für gültig gehalten wurde, vorlag. Möglicherweise sogar als Vintages[4] (gelegentlich wurden noch Arbeitsabzüge von Ausstellungsabzügen unterschieden). Das hatte natürlich Gründe. Wer schaut sich schon gern Kontaktabzüge oder gar Negative an (24 x 36 mm) und wer war in der Lage, darauf Qualitäten zu erkennen?. Wollte man also eine Schwarz-Weiß-Fotografie anschauen und/oder herzeigen, musste man sie vergrößern (vom Printen sprach man erst später). Das geschah in der Dunkelkammer. Stellte die Fotokünstler diesen Abzug, die Vergrößerung vom Negativ, in der Dunkelkammer selbst her, erfuhr das entstehende Bild dabei gewisse Bildbearbeitungen – Abwedeln, Nachbelichten, Gradationssplit, Bleichen, Verstärken, Tonen – , so entstand ein Handabzug. Von der Wahl des Films in der Kamera zuvor und des Papiers am Ende ganz zu schweigen.

Einer anderen Gruppe der professionell Fotografierenden geht es eher um die graduelle Auflösung des Films, die sie den Fähigkeiten des Chips vorzieht. Die entwickelten Negative werden dabei anschließend nicht mehr in der Dunkelkammer vergrößert, sondern eingescannt, um sie digital weiter zu verarbeiten. Das Endprodukt ist ein Hybrid. Hohe Auflösung und die unregelmäßige Struktur klassischen Filmmaterials werden in Verbindung mit der Möglichkeit elektronischer Weiterverarbeitung sowie schneller und komfortabler Speicherung sanktioniert.

Es lassen sich weitere Kombinationen aus beiden Welten vorstellen – und sie existieren. Es werden von den Fotokünstlerinnen und Fotokünstlern alle möglichen Wege beschritten, um zu einem gültigen Ergebnis zu kommen. Ob es Umwege sind, ist für das Resultat unerheblich. Es gibt dabei kein RICHTIG oder FALSCH.

Die Fotografie hatte und hat, so heißt es, die Aura eines individuellen Kunstwerkes. Ein Unikat kann entstehen. Das ist ein Punkt, der für einen Teil der analog Fotografierenden sicher wichtig ist: dieses Endprodukt. Der Versuch der Umsetzung eines solchen Anspruchs wird auch durch das Medium selbst provoziert; einem Medium, das am Beginn des 20. Jh. wie kein modernes andere, für seine Vervielfältigungsmöglichkeit stand. Walter Benjamin rekurriert in seinem berühmten Aufsatz nicht zuletzt auf die Fotografie, wenn er vom (Das) Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit[5] spricht. Hier ist allerdings von der Fotografie als reproduzierendes Medium die Rede; jenes, das durch seine Anwendung die Einmaligkeit des Kunstwerkes und damit seine Aura zerstöre.

Schauen wir auf den Arbeitsprozess einer Fotokünstlerin oder eines Fotokünstlers, zeigen sich im Vergleich analog versus digital vielleicht wesentliche Unterschiede.

Es ist augenscheinlich, dass in der journalistischen Fotografie das digitale Bild die Prozesse beschleunigt hat. Für einen Auftrag werden vor Ort Bilder gemacht, sofort kontrolliert, weitere Bilder gemacht, kontrolliert usw. Wenn es schnell gehen soll – und wann soll es mal nicht schnell gehen – können die Bilder umgehend elektronisch zum Beispiel in die Redaktion verschickt werden.

Aber wie ist das in der künstlerischer Fotografie? Die Konzentration auf das eine Bild, auf das hingearbeitet wird, das längst im Kopf der Fotokünstler ist, im Selbstauftrag versteht sich, wird hochgehalten. Dabei sind die Auswahl der Technik, eventuell des Films, das Aufstellen des Statives, das Präparieren der Kamera, das Wählen des Bildausschnittes, das Warten auf gewünschtes Licht, auf bestimmte Personenkonstellationen aufeinanderfolgende Schritte, die dem Entstehen des Bild vorausgehen. In der Dunkelkammer, Stunden später, wird zum ersten Mal das Resultat der Arbeit sichtbar. Entweder ist das Bild gelungen oder der Prozess muss von vorn beginnen.

Zum Beispiel hat Hans-Christian Schink bei der Serie  1h  mit der Möglichkeit echter Solarisation gearbeitet[6]. Da Negativfilm nur bis zu einem bestimmten Punkt belichtungsfähig ist, kehrt sich der fotochemische Prozess um, sobald die Belichtung danach weiter fortgesetzt wird. Die im Negativ dunkelsten Punkte werden wieder heller. Er fotografierte auf diese Weise eine Stunde gegen die Sonne. Die so belichteten Schwarz-Weiß-Filme hat er erst nach der Rückkehr, er war auf der Nord- und Südhalbkugel monatelang unterwegs, im heimischen Atelier entwickelt. Die Bilder waren somit kaum wiederholbar. Michael Wesely montierte Großformatkameras, mit Objektiven und Filtern versehen, gegenüber von Großbaustellen und ließ bei geöffnetem Verschluss und entsprechendem Film das Licht und die Welt ihre Arbeit machen. Prozesse, etwas was so nur Fotografie kann, wurden auf einem einzigen Bild festgehalten und damit sichtbar gemacht[7].

Dies könnte unterstellen, dass Fotografierende mit digitaler Ausrüstung dieser Konzentration nicht bedürfen oder dazu nicht in der Lage wären. Stimmt das?

Ein Fotokünstler, der mit Stativ und einer Großbildkamera analog fotografieren geht, hat vielleicht 10 Filmkassetten dabei, die er/sie belichten kann. Mehr kann er/sie nicht tragen. Das zwingt zur Konzentration. Der digital Fotografierende hat die Möglichkeit, neben der sofortigen Kontrolle, hunderte Bilder zu machen und zu speichern. Die Speicherkarte gibt das unter Umständen her. Auch früher wurde aus einer Reihe von Fotografien auf dem Film, meist bereits im Negativ, eine Entscheidung oder Auswahl für das eine Bild getroffen. Durch die große Zahl des zur Verfügung stehenden digitalen Bildmaterials, teilt sich der künstlerische Akt jedoch weiter und verlagert sich auch auf die Arbeit am Bildschirm, wo neben der Auswahl die Bildbearbeitung (und Manipulation) weitere kreative Prozesse sind. Es war zu hören, dass Fotokünstler gelegentlich eine extra kleine Speicherkarte in der Kamera nutzen, um der Versuchung, des ständigen Fotografierens, nicht zu unterliegen. Ein Versuch also, die Konzentration hoch zu halten.

Reden wir weiter von Schwarz-Weiß-Fotografie bleibt zu fragen, ob bei der Wahl der Mittel und des Endprodukts nicht auch der Blick auf die Sammler eine Rolle spielt. Der klassische Silbergelatine/Barytabzug wird hier immer noch und außerordentlich wertgeschätzt. Seine Haltbarkeit wird nicht infrage gestellt. Die technische Bildqualität ist sehr hoch, die Grauwertabstufungen inklusive eines tiefen Schwarz sind gegeben und es ließe sich eine Aura herleiten (Handabzug). Und – ja – es gibt sie, die Aura. Vintage-Prints[8], in kleiner Auflage, durch Nummerierung und Signatur autorisiert, begegnen uns in den Ausstellungen. Sie sind für uns und für den Augenblick einmalig. Wir bemessen der Fotografie eine Aura zu, können sie bewundern oder genießen und investieren dabei Zeit, mehr nicht. Auch wenn, wie zu lesen war[9], sich der kapitalistischen Logik folgend eine Aura, nach ihrer Zerstörung, erst durch ein fünf- oder sechsstelliges Auktionsergebnis herstellt.

Nicht unwichtig: Die Herstellung von Handabzügen auf Barytpapier ist schwieriger geworden. Im Überschwang des Digitalen, und im disruptiven Prozess der Veränderungen, drohte Anfang der 2000er Jahre die Herstellung notwendiger Chemikalien und Materialien gänzlich eingestellt zu werden. Mittlerweile gibt es sie wieder. In Deutschland, Tschechien und Großbritannien werden sie wieder hergestellt. Sie sind allerdings erheblich teurer geworden.

Bei der Farbfotografie sieht es etwas anders aus. In den Sammlungen verbleichen gerade die analog hergestellten Farbfotografien der 1970er bis 1990er Jahre. Und niemand kann etwas dagegen tun[10]. Auf diesem Feld hat die digitale Fotografie und insbesondere ihre Weiterverarbeitung, das Printen und die Verwendung haltbarer Tinten usw., für ein wenig mehr Sicherheit gesorgt. Es wird aktuell zumindest eine 75-jährige Haltbarkeit garantiert. Besucht man Fotokünstlerinnen und Fotokünstler, die auf diesem Feld unterwegs sind, zeigen sich andere Besonderheiten. Bilder werden am Bildschirm des Computers angeschaut oder auf kleineren Formaten nicht gar so hochwertiger Prints präsentiert. Dass die Farbbilder noch in der Dunkelkammer selbst hergestellt werden, gehört so gut wie der Vergangenheit an. Die Versuchung und Herausforderung, die Fotografien in großen Formaten printen zu lassen, ist groß; und es ist teuer. Es kommt immer häufiger vor, dass Bilder, erst wenn sich ein Verkauf anbahnt oder eine Ausstellung vorbereitet wird, geprintet werden. Das bindet sehr viel Geld und wird zur Investition, zur Spekulation. Der Künstler, die Künstlerin wird zum Investor. Kalkül zieht ein. Fine-Art Prints, Pigmentdrucke, Alu-Dibond unter Acryl usw. usf.  – Fotografien werden über diverse Druckverfahren auf Papier, Leinwände, Metallflächen, Leichtschaumplatten in hoher Qualität gebracht. Die Varianten werden eher weiter zunehmen. Die Spekulationen ebenso.

Zum Schluss: Die Kamera ist ein Instrument in der Hand des Fotografierenden. Eine Fotografie das Resultat.

Eine kleine Schar, vielleicht im Verhältnis von 10 zu 90 wird dem Analogen die Treue halten und dabei von ihren Erfahrungen und Überzeugungen getragen.

Beim Streit analog versus digital, der eigentlich keiner ist, geht es um technische Entwicklungen, Handhabungen, Empfindungen, Glaubenssätze, Sammlerbedürfnisse. Dabei ist der hohe Grad der sofortigen und weltweiten Distribution des Digitalen der viel entscheidendere und hier noch gar nicht genügend betrachtete Punkt.

Es steht schließlich die Frage im Raum, wer sich all die mit Bilddaten vollgepackten Festplattenspeicher in den Hinterlassenschaften von Fotokünstlerinnen und Fotokünstlern einmal ansehen wird (von printen ganz schweigen). Neu ist diese Frage aber nicht. Sie ist kein Phänomen des Digitalen. Die Kritik an der Vielfotografiererei ist so alt wie das Medium[11].


[1] Gespräch von Gabriele Muschter/Uwe Warnke mit Ulrich Domröse am 11.06.2020

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Fotografie#Der_Abzug, 15.06.2020

[3] Silbergelatine-Prints bzw. Handabzüge, bestenfalls auf Barytpapier

[4] Erste Abzüge, von Fotografen selbst hergestellt, unmittelbar nach dem die Fotografie entstanden ist

[5] L’œuvre d’art à l’époque de sa reproduction mécanisée, in: Zeitschrift für Sozialforschung, Paris 1936

[6] Die Arbeit 1h von Hans-Christian Schink, 1 Stunde gegen die Sonne fotografieren, dabei die sogenannten echte Solarisation ausnutzend, wäre 2008/09 digital gar nicht möglich gewesen. Die echte Solarisation benötigt einen Film

[7] Nach Auskunft des Fotografen geht das mittlerweile auch digital

[8] Siehe Fußnoten 4

[9] Sarah Pines, Die Aura des Kunstwerks ist tot. Es lebe der Reiz des Geldes, in: Neue Züricher Zeitung online, 19.06.2018

[10] Es gibt gerade eine erbitterte Diskussion, ob überhaupt und wenn ja wie in diesen Verfallsprozess eingegriffen werden soll. Mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln reproduzieren oder nicht?

[11] Z.B. hinterließ Henry Cartier-Bresson (1908-2004) 500.000 Negative

Kurt Buchwald

Kurt Buchwald und Claus Bach: STUNTS im Museum Junge Kunst, Frankfurt / Oder

Kurt Buchwald. Claus Bach. Stunts. Stunts? Im Museum? Warum? Was ist da so gefährlich? Und für wen? Sind die Künstler die Stuntmen oder haben dieselben um Unterstützung angesucht? Bei wem? Wer macht wem etwas vor? Sind wir die Zuschauer oder sind wir Akteure? Übernehmen wir, das Auditorium, eine Ersatzhandlung an Stelle der gesamten Öffentlichkeit? Ersatzhandlungen? Dazu vielleicht später mehr. Das Spiel ist offen und beide Künstler geben uns mit diesem Titel eine Handreichung doch nachzufragen, mit wem und womit wir es hier denn tatsächlich zu tun haben. Gibt es auch da mehrere Möglichkeiten? Claus Bach, woran erinnert Sie dieser Name? Noch dazu in einem Museum, welches an der Bach-Straße liegt und unweit eines großen Flusses? Richtig, an den Autor gleichen Namens der nicht vergessenen Bücher „Rugby verständlich gemacht.“ oder „SportRegeln: Rugby Die offiziellen Regeln.“ oder einfach „Rugby“ (alle 1992 erschienen). Und Buchwald? Vom Wald einmal abgesehen, welcher Sportsmann ist da gemeint? Oder doch das Café gleichen Namens in Berlin Tiergarten unweit der Spree mit dem hochgerühmten, nach Cottbuser Variante, schwerer als die Salzwedeler Art übrigens, seit 1852 hergestellten Baumkuchen? War das schon die erste Werbeunterbrechung? Hilft uns das weiter?

Zwei Fotografen, zwei Künstler, die sich aus den subkulturellen Zusammenhängen der 80er Jahre in der DDR kennen. Beide damals binnen kurzem auf der Suche nicht nur der Enge der Verhältnisse sondern auch dem scheinbar Festgefügten künstlerischer Vorstellungen der Altvorderen zu entkommen. Dabei gibt es große Schnittmengen. Beiden reicht schon bald das fotografische Einzelbild nicht mehr, Bildserien folgen. Deren logische Folgerungen und nächste Schritte sind, fast zwangsläufig, der Film, das Video. Objekte fallen an. Sie sind innehaltende Geste, Performancerest, dinggewordene Idee, Wegmarkierung. Mehr als Störfeld denn als Orientierungshilfe. Diese Logik heißt nicht, dass das Eine das Andere ablöst. Die Dinge behaupten sich und ihren Platz und zwar nebeneinander. Wahrnehmungen und Wahrnehmungsmuster werden untersucht. Das verbindet.

Wahrnehmung: Form der ideellen Widerspiegelung der objektiven Realität vermittels des Zentralnervensystems der Tiere und der Menschen. Da haben wir’s. Ohne sie kein Überleben. Sie ist dem Leben wesenseigen. Was übrigens ständig als bedingt reflektorischer Akt nach dem Prinzip der Rückkopplung in Teilen der Großhirnrinde passiert, als Synthese von Reizen aller Rezeptoren. Es steht also gar nicht die Frage im Raum, ob wir diese Mittel der Weltaneignung, die uns zur Verfügung stehen, einsetzen oder einzusetzen bereit sind. Wir tun es unablässig – es passiert.

Dennoch ist Täuschung möglich! Wie wir wissen, sind wir zumindest hinreichend genug geschützt, da unsere Wahrnehmung einen bewussten Charakter hat und diese mit den bereits erworbenen Erfahrungen korreliert. Wir schaffen so Abbilder der objektiven Realität, vermittelt durch die eigene subjektive Erkenntnistätigkeit. Sie sehen, es handelt sich um eine Einheit von Objektivem und Subjektivem. Das ist Wahrnehmung. Wir können ohne sie nur sehr eingeschränkt sein. Wir nehmen alle permanent wahr. Und zwar mit allen Sinnen. Ein Sonderfall ist diese Situation hier heute Vormittag in der wir alle vorgeben, an demselben wahrzunehmen bereit und interessiert zu sein. Deswegen sind wir ja schließlich hier. Das schöne daran ist nun, das die Ergebnisse dessen nicht dieselben, ja nicht einmal die gleichen sind, sich vielleicht nicht einmal ähneln. Sie sind genau so viele male verschieden, wie wir Besucher hier sind. So sind wir. So ist der Mensch. So ist die Welt.

Das bringt eine Menge Probleme mit sich, sorgt aber auch für Abwechslung. Wir sind immer wieder dabei dies erneut zu lernen. Unsere Mittel: Vertrauen, Geduld, Wiederholung, Kommunikation. Im Mittelpunkt dieser Ausstellung stehen Videos. Stehen? Sie stehen nicht, sie laufen, also die Bilder. Sie merken schon, es ist schwierig. Unsere Sprache läuft den Ereignissen hinterher. Ein Video muss wiederholt werden, damit es präsent bleibt. Es ist zur Wiederholung gezwungen. Dies scheint eines seiner Prinzipien zu sein. Weil sich in ihm Bilder aneinanderreihen, sie nacheinander entstehen und wieder verschwinden und dabei schließlich Zeit vergeht. Es hat dadurch mehr mit Musik zu tun, mit Theater auch. Das das Zeit braucht ist uns immer etwas unangenehm. Da wird uns etwa eine Verweildauer vorgeschrieben. Einem anderen Kunstwerk, einer Plastik, einem Bild würden wir die Wiederholung als inhärenten Bestandteil gar nicht unterstellen wollen, nicht wahr? Dabei vergeht doch bei der Wahrnehmung desselben ebenso Zeit. Nur, weil wir, was die von uns aufgewendete Zeit angeht, selbst entscheiden können, Zeit als Wahrnehmungsdauer nicht implantiert scheint, urteilen wir hier anders. Würde man diese Zeit allerdings auch solchen Kunstwerken zuschreiben, natürlich nach bestem Wissen und Gewissen eines Kurators oder vielleicht sogar nach einer Empfehlung des noch lebenden Künstlers, wie wären wir irritiert und würden von Anmaßung sprechen. Ein Beispiel? Vielleicht so: Peter Herrmann „James Ensor träumt Magritte“, 2006, 7 Minuten. Das wäre doch merkwürdig, oder. Man würde schnell Demokratie im Museum einfordern und von Freiheit reden usw.. Also: … Stunt, englisch. Wir schlagen nach: Bedeutung 1 – 1. hemmen (im Wachstum, in der Entwicklung etc.) 2. verkümmern lassen, verkrüppeln Und Stunt, englisch. Bedeutung 2 – 1. Kunststück, Glanzstück, Kraftakt; 2. Sensation a) Schaunummer, b) Bravourstück, c) Schlager Wie bekommen wir das zueinander? Nur zusammengenommen interessiert uns das. Ist es nicht so, dass unsere Fähigkeiten verkümmern, wenn uns alles abgenommen wird und wenn wir uns alles abnehmen lassen. Und dies zu dem, wenn uns dann von irgendwelchen Leuten genau dies vorgemacht wird, und zwar perfekt. Eine Stellvertreterhandlung die abschreckt. Eine Täuschung, die mit unserem Leben nichts zu tun hat. Eine Irritation, die ein Double erzeugt, das wir nicht brauchen, aber andere vielleicht benötigen, zumindest etwas schlaglichtartig deutlich macht. Also ein Spiel.

Buchwald ordnet ganze Werkgruppen unter einem „Kreis der Wahrnehmung“. Was wir hier sehen gehört ausnahmslos dazu. Die drei Kästen mit den Installationen, die jeweils nur das Hineinsehen einer Person zu lassen: – embryonaler Grund: rundes, grünes Unbekanntes. Wie ein Blick zurück in die Ursuppe. Erhalten wir hier Zeugnis vom Beginn des Lebens? – inkonto / Begegnung: Buchwald sucht Orte der Kindheit auf: Schatten auf einer Wiese, Spiegelung im Elbwasser, eine Hauskante, eine Brustwarze? Erinnerungsort? Sehnsuchtsfolie? – mundi circolare: scheinbare und reale Erdbeobachtungen / egal wo / erneut finden wir hier Hinweise auf Elementares, auf fremde Welten / verbrannte Böden 2 Objekte – Große Scheibe. Die in unsere Wirklichkeit gestellte große Blende eines Fotoapparates, die mehr verstellt als offen legt und doch durch den erzwungenen Ausschnitt uns zur Konzentration zwingt. Die Frage die sich dabei einstellt: Was leistet Fotografie und was eben nicht? – Der Hofstaat / Röhrenstaat: Müssen Sie auf der einen Seite nicht auch an die Dekadenz des grünen Gewölbes in Dresden und zwar an „Der Hofstaat des Großmoguls Aureng Zeb“ von Johann Melchior Dinglinger von 1701 – 1708 denken? Und auf der anderen Seite? Die gewollte, durch die Medien hergestellte Einschränkung unserer Wahrnehmungsfähigkeit.

Claus Bach zeigt uns hier einige seiner „Instant“ genannten Objekte. Ich schrieb dazu vor einiger Zeit folgendes: Der nächste Schritt beim Sezieren der die Menschen gestaltenden Verhältnisse, wurde beginnend mit der Serie „Instant“ vollzogen. Vom Lebendigen bleibt der Ein- oder auch Kleinzeller übrig. Begriffen als etwas Ursprüngliches, hängt er hier abgebildet auf Positivfilm zwischen Metallstangen, über denen sich „Nachrichten“ der als strategisches Weichziel begriffenen Kreatur Mensch im Kreise drehen. Das Lesen der Tafeln gelingt nicht. Die Kreisbewegung ist zu schnell, um den Text zu erfassen. Die Mühe darum wird nicht belohnt. Und nicht zuletzt das Video: Weimarer Stadtrundfahrt Wir sehen die Bilder der Fahrt einer Spezialkamera durch die Weimarer Kanalisation. Dabei hören wir die Stimme einer Weimarführerin, die uns links und rechts mit den weithin bekannten Immobilien der Weimarer Klassik bekannt zu machen glaubt. Die Weimarer Verhältnisse, dieser musealen Kruste, diesem verwalteten ewig rückwärtsgewandten Totenkult, so statisch wie statistisch auf diese Weise zu unter„wandern“ , bedurfte einer Ironie auch gegenüber der eigenen Herkunft und schuf so eine Parodie, die in Weimar für Aufregung sorgte und ansonsten für Übersetzungen ins Spanische, Englische und Italienische. Und aufgepasst: die Orte der Bilder im Untergrund sind mit den tatsächlichen Orten über diesem, von denen die Rede ist, in Kongruenz gebracht. Das ist im Übrigen ein Grundprinzip aller Arbeiten hier. Die Wechselwirkungen mit der Wirklichkeit treten offen zu Tage, und da, wo sie uns absurd und abseitig erscheinen, ist diese Absurdität nicht im Kunstwerk, sondern immer in der Wirklichkeit zu finden, die letztendlich durch nichts zu überbieten ist.
Uwe Warnke

Eröffnung am 03.06.2007, 11 Uhr, im Museum Junge Kunst Frankfurt/Oder.

Claus Bach

Bildbewegung        Drehmoment        Ständige Eingriffe

Die Bewegung durch Claus Bachs Bildwelten, als Sequenzen uns vorgegebener möglicher Bildfolgen, hat sich schon seit einiger Zeit selbständig gemacht. Die Entwicklung dahin war kleinschrittig, folgerichtig und befindet sich selbst nun in einer Kreisbewegung, dessen Drehmoment sich im Betrachter festhakt. Sich im Kreis zu drehen hieße ja, sich nicht von der Stelle zu bewegen. Hiervon kann meine Rede nicht sein.

Die frühen Arbeiten Claus Bachs bewegten sich durch eine provinzielle, ostdeutsche Popkultur. Diese war mehr Zitat als Ereignis. Die Beobachtungen jedoch waren detailgenau, witzig und verspielt. Sie spiegelten eine Sehnsucht nach den Vorbildern und reproduzierten dabei auch ständig die eigene Offenheit, die die nächsten möglichen Schritte ahnen ließ, welche im Kopf offensichtlich schon vorgezeichnet waren. Diese frühen Arbeiten waren während Ausstellungen in Studentenklubs, Cafés, privaten Wohnungsgalerien und in den original-grafischen Künstlerzeitschriften ENTWERTER/ODER (hier gibt es bis heute Kontakte), UND, REIZWOLF sowie den selbstverlegten Editionen des Trios Sabine Jahn, Thomas Günther, Claus Bach zu sehen. Interessant war in dieser Zeit die Auseinandersetzung von Bild und Text. In zahlreichen Fotoserien, die sich auch in Mappen heute noch auffinden lassen, hat Claus Bach Lösungen von Text im Bild vorgelegt. Die Zusammenarbeit mit dem Dichter Thomas Günther war diesbezüglich sehr fruchtbar. Hieraus kann, gerade wegen der Zuhilfenahme von bildfremdem Material, auch eine Nähe zu einer bestimmten Erzählhaltung vermutet werden. Ein Hinlenken auf den Gegenstand; ein Deutlichermachen von Zusammenhängen. Diese Vermutung findet ihre Bestätigung in jenen Arbeiten, die als Bildfolgen nun von Claus Bach vorgelegt wurden.

Ersteinmal gab es zusammenhängende Bildreihen mit einem immer wiederkehrenden Bildgegenstand. Daraus entstand die Idee, das Bild aus dem Bild entstehen zu lassen, es zum Bestandteil des folgenden zu machen. Picture on Picture. Diese Bildfolgen summierten sich zu sechs Bildern, die auch in kleinem Format als eine Reihe funktionierten. Diese Form zeigt erste konzeptionelle Überlegungen. Sie taucht später, dann allerdings gestraffter, wieder auf.

Als Spiel eines Eingriffs in das Bild und auch als formal neue Variation von Bild und Text, kann man die Arbeiten der „Lichtspuren“ lesen. Arbeit mit der Taschenlampe, einer Nachtsituation und Filmmaterial. Die Bildmanipulation wurde fortgeführt. In diesem Medium wurden auch die ersten Farbversuche unternommen. Das Aktionsfeld wurde erweitert.

„Kopfkörper“ – diese über mehrere Jahre Claus Bach beschäftigende streng konzeptionelle Serie, bündelte die von ihm unternommene Bildsuche und Erzählweisen der frühen 80er Jahre. In diesen Bildern ist das Erzählfeld reduziert, der Gegenstand der Mensch (einzeln, paarweise, in Gruppen), sein Kopf verschwunden hinter einer Projektionsfläche. Das Individuum wurde durch diese Methode jedoch nicht aufgehoben, ein wichtiger Teil ihm zwar genommen, doch wird dieser ersetzt durch die „Tafel“ des Künstlers, die es ihm nun erlaubte, sich erneut ins Spiel zu bringen. Anfangs erinnerte die Herangehensweise an eine Kossuth-Methode, löste sich jedoch schnell davon und die Bildidee wurde konsequent in Variationen durchgearbeitet. Die erste Serie entstand im realen Umfeld, in der Natur, in der Stadt, vor dem Haus usw. und wurde in schwarz/weiß realisiert. In den farbigen Arbeiten wurde der Rest des Individuums getilgt. Die Durchführung wurde ebenfalls aus dem Realen in den Kunstraum verlagert. Dieser Kunstraum wurde zur nächsten Additionsfläche Claus Bachs. Figuren agieren in weißen Kitteln vor einer Leinwand, die Bild und Filmleinwand zugleich ist. Die hier geschaffene Kunstwelt hat nur noch formale Berührungen mit dem Ursprung dieser Serie. Der Gegenstand Mensch ist fast verschwunden.

Die künstliche Welt wird von Claus Bach als große Möglichkeit begriffen und auch deutlich erweitert, die Serie der „Sprechenden Strukturen“ führte ihn jedoch wieder hinaus ins Feld und wieder ins Schwarz/Weiß. Kunstwelt und Natur im Gegenüber. Technische Strukturen, die ohne uns Menschen so nicht vorhanden wären, wurden auf quadratischem Bildformat abgezogen und als Kruzifix angeordnet in die Umwelt gestellt. Botschaft und Mahnung, Entfremdung und Konflikt symbolisierend.

Dieses Bauen von Figuren hat wieder einmal den Blickwinkel und die Möglichkeiten erweitert und führte zu den „Knallkörpern“. Scherenschnitt oder Comicfigur? Die Flächen der Figuren bestanden aus Fotomaterial, das wiederum aus dem Fundus der Strukturen stammte, aber angereichert wurde durch eine Vielzahl anderen Materials. Die Figur verdrängte die Strenge der Materialwahl. Wie mit einer Zackenschere ausgeschnitten ließ sie eine Ahnung von Schneiderwerkstatt wach werden. Sieben auf einen Streich? Erst als kleine Figuren vor die Kamera montiert und nun auf Motivsuche, verselbständigten sie sich, wurden sie zu überlebensgroßen Figuren. In Ausstellungen hingen sie von Decken und an Wänden, als Multiple rief sie zum Selbermachen und zur Nachahmung auf. Die Figuren begannen ihrerseits zu agieren. Die Bilder waren längst in Bewegung. Der Enge des quadratischen Fotoabzugs entkommen, durchschritten sie Zentren deutscher Städte. Der Kontakt zum Medium Video war bereits hergestellt – hier wurde es als ein entsprechendes eingesetzt. Der Videoclip wurde ein weiterer Bestandteil der Arbeit Claus Bachs. Ein erster Höhepunkt ist hierbei das Video „Entscheidungsreue“. Eine Vertreterlitanei, entnommen einem Lehrbuch für Handelsreisende und -vertreter, kommentiert scheinbar die Bewegungen der „Knallkörper“. Der Text wird vor diesen Bildern zum ironischen Kommentar eines allein an Verkauf orientierten Kunstmarktes, dessen Objekt eine Wertsteigerung verspricht und sich von einer Aktie nicht mehr unterscheidet.

Neuere Videoarbeiten, an denen Claus Bach nur, aber immerhin, konzeptionell Anteil hatte, scheinen mir in eine Sackgasse zu führen oder anders gesagt, sie befinden sich auf anderem Terrain. Sie sind balladesk, mit einer anrührenden, das vereinzelte Subjekt hilflos in seine Konditionen stellenden Optik, das sie mich an ostdeutsche 8- und 16-Millimeter-Filme der 80er Jahre erinnern lassen. Hier taucht ein den bachschen Arbeiten ansonsten fremdes Pathos auf, dem jeglicher Witz fehlt.

Der nächste Schritt beim Sezieren der die Menschen gestaltenden Verhältnisse, wurde beginnend 1994 mit der Serie „Instant“ vollzogen. Vom Lebendigen bleibt der Ein- oder auch Kleinzeller übrig. Begriffen als etwas Ursprüngliches, hängt er hier abgebildet auf Positivfilm zwischen Metallstangen, über denen sich „Nachrichten“ der als strategisches Weichziel begriffenen Kreatur Mensch im Kreise drehen. Das Lesen der Tafeln gelingt nicht mit einem Mal, die Kreisbewegung ist zu schnell, um den Text gleich zu erfassen. Die Mühe darum wird jedoch nicht belohnt. Da ist nur noch Langeweile und die Aggression aus ihr. Das gilt für viele Bilder unserer Konsumwelt ebenso. Die Bildflüchtigkeit ist Bestandteil und Ergebnis dieses Konsums. Es lohnt eben nicht mehr, Zeugnisse des „ex und hopp“ überhaupt wahrzunehmen. Auch die Medien, die dieses täglich tragen – es lohnt nicht der Mühe. Der Kreisel dreht sich immer schneller und nunmehr nur noch nach innen. Die Katastrophen sind übrig geblieben und stehen Schlange. Aber auch sie sind der Mühe nicht mehr wert.

Neben „Instant“ zählt das „London-Project“ zu den neuesten Arbeiten. Gemeinsam mit der Engländerin Elizabeth – Jane Grose, die das ACC-Stipendium in Weimar erhalten hatte und dort auf Claus Bach stieß, stellte er jüngst in der Galerie EIGEN & ART in Leipzig aus. Die Engländerin holte sich aus dem Spannungsfeld des Wörtlichnehmens von deutschen und englischen Idiomen sowie aus deren unterschiedlichen Bedeutungen in beiden Sprachen ihre Gestaltungslust. Da hing ein T-Shirt aus Teebeuteln neben einem Glockenrock, welcher aus Marmor gehauen war. Auf Farbfotos waren Brillen zu sehen, in denen anstelle der Gläser Feldfrüchte gestopft waren. Eine Variation zum Thema Feldstecher usw. .

Während der Vorweihnachtszeit 1994 waren beide in London gemeinsam über Flohmärkte gelaufen und hatten dort kleine leuchtende Gegenstände erworben. Kitschiger Zierat, eigentlich zu nichts nütze. Drapiert auf den Körper der beiden, wird er allerdings Bestandteil eines witzigen Spiels, das von Annahme, Identifikation und Fetischen erzählt. Wenn die Dinge es schon nicht zum Ornament schaffen, so wird das einzelne doch zum umworbenen Objekt. Kleinformatige, farbige Fotos legen darüber Zeugnis ab. Die Leuchtkörper bleiben dem body fremd. Die Libido hält sich in Grenzen. Es mußte ausprobiert werden. Das Spiel bleibt.

Die Arbeiten von Claus Bach waren in der ACC-Galerie, Weimar, den Brandenburgischen Kunstsammlungen, Cottbus, der Galerie EIGEN & ART, Leipzig, zu sehen und sind nun vom 03.06. bis 30.07.1991 in der Staatlichen Galerie Moritzburg, Halle, ausgestellt. Die Ausstellungen begleitet ein Katalog.

Kurt Buchwald und Claus Bach: STUNTS im Museum Junge Kunst, Frankfurt / Oder

Kurt Buchwald. Claus Bach. Stunts. Stunts? Im Museum? Warum? Was ist da so gefährlich? Und für wen? Sind die Künstler die Stuntmen oder haben dieselben um Unterstützung angesucht? Bei wem? Wer macht wem etwas vor? Sind wir die Zuschauer oder sind wir Akteure? Übernehmen wir, das Auditorium, eine Ersatzhandlung an Stelle der gesamten Öffentlichkeit? Ersatzhandlungen? Dazu vielleicht später mehr. Das Spiel ist offen und beide Künstler geben uns mit diesem Titel eine Handreichung doch nachzufragen, mit wem und womit wir es hier denn tatsächlich zu tun haben. Gibt es auch da mehrere Möglichkeiten? Claus Bach, woran erinnert Sie dieser Name? Noch dazu in einem Museum, welches an der Bach-Straße liegt und unweit eines großen Flusses? Richtig, an den Autor gleichen Namens der nicht vergessenen Bücher „Rugby verständlich gemacht.“ oder „SportRegeln: Rugby Die offiziellen Regeln.“ oder einfach „Rugby“ (alle 1992 erschienen). Und Buchwald? Vom Wald einmal abgesehen, welcher Sportsmann ist da gemeint? Oder doch das Café gleichen Namens in Berlin Tiergarten unweit der Spree mit dem hochgerühmten, nach Cottbuser Variante, schwerer als die Salzwedeler Art übrigens, seit 1852 hergestellten Baumkuchen? War das schon die erste Werbeunterbrechung? Hilft uns das weiter?

Zwei Fotografen, zwei Künstler, die sich aus den subkulturellen Zusammenhängen der 80er Jahre in der DDR kennen. Beide damals binnen kurzem auf der Suche nicht nur der Enge der Verhältnisse sondern auch dem scheinbar Festgefügten künstlerischer Vorstellungen der Altvorderen zu entkommen. Dabei gibt es große Schnittmengen. Beiden reicht schon bald das fotografische Einzelbild nicht mehr, Bildserien folgen. Deren logische Folgerungen und nächste Schritte sind, fast zwangsläufig, der Film, das Video. Objekte fallen an. Sie sind innehaltende Geste, Performancerest, dinggewordene Idee, Wegmarkierung. Mehr als Störfeld denn als Orientierungshilfe. Diese Logik heißt nicht, dass das Eine das Andere ablöst. Die Dinge behaupten sich und ihren Platz und zwar nebeneinander. Wahrnehmungen und Wahrnehmungsmuster werden untersucht. Das verbindet.

Wahrnehmung: Form der ideellen Widerspiegelung der objektiven Realität vermittels des Zentralnervensystems der Tiere und der Menschen. Da haben wir’s. Ohne sie kein Überleben. Sie ist dem Leben wesenseigen. Was übrigens ständig als bedingt reflektorischer Akt nach dem Prinzip der Rückkopplung in Teilen der Großhirnrinde passiert, als Synthese von Reizen aller Rezeptoren. Es steht also gar nicht die Frage im Raum, ob wir diese Mittel der Weltaneignung, die uns zur Verfügung stehen, einsetzen oder einzusetzen bereit sind. Wir tun es unablässig – es passiert.

Dennoch ist Täuschung möglich! Wie wir wissen, sind wir zumindest hinreichend genug geschützt, da unsere Wahrnehmung einen bewussten Charakter hat und diese mit den bereits erworbenen Erfahrungen korreliert. Wir schaffen so Abbilder der objektiven Realität, vermittelt durch die eigene subjektive Erkenntnistätigkeit. Sie sehen, es handelt sich um eine Einheit von Objektivem und Subjektivem. Das ist Wahrnehmung. Wir können ohne sie nur sehr eingeschränkt sein. Wir nehmen alle permanent wahr. Und zwar mit allen Sinnen. Ein Sonderfall ist diese Situation hier heute Vormittag in der wir alle vorgeben, an demselben wahrzunehmen bereit und interessiert zu sein. Deswegen sind wir ja schließlich hier. Das schöne daran ist nun, das die Ergebnisse dessen nicht dieselben, ja nicht einmal die gleichen sind, sich vielleicht nicht einmal ähneln. Sie sind genau so viele male verschieden, wie wir Besucher hier sind. So sind wir. So ist der Mensch. So ist die Welt.

Das bringt eine Menge Probleme mit sich, sorgt aber auch für Abwechslung. Wir sind immer wieder dabei dies erneut zu lernen. Unsere Mittel: Vertrauen, Geduld, Wiederholung, Kommunikation. Im Mittelpunkt dieser Ausstellung stehen Videos. Stehen? Sie stehen nicht, sie laufen, also die Bilder. Sie merken schon, es ist schwierig. Unsere Sprache läuft den Ereignissen hinterher. Ein Video muss wiederholt werden, damit es präsent bleibt. Es ist zur Wiederholung gezwungen. Dies scheint eines seiner Prinzipien zu sein. Weil sich in ihm Bilder aneinanderreihen, sie nacheinander entstehen und wieder verschwinden und dabei schließlich Zeit vergeht. Es hat dadurch mehr mit Musik zu tun, mit Theater auch. Das das Zeit braucht ist uns immer etwas unangenehm. Da wird uns etwa eine Verweildauer vorgeschrieben. Einem anderen Kunstwerk, einer Plastik, einem Bild würden wir die Wiederholung als inhärenten Bestandteil gar nicht unterstellen wollen, nicht wahr? Dabei vergeht doch bei der Wahrnehmung desselben ebenso Zeit. Nur, weil wir, was die von uns aufgewendete Zeit angeht, selbst entscheiden können, Zeit als Wahrnehmungsdauer nicht implantiert scheint, urteilen wir hier anders. Würde man diese Zeit allerdings auch solchen Kunstwerken zuschreiben, natürlich nach bestem Wissen und Gewissen eines Kurators oder vielleicht sogar nach einer Empfehlung des noch lebenden Künstlers, wie wären wir irritiert und würden von Anmaßung sprechen. Ein Beispiel? Vielleicht so: Peter Herrmann „James Ensor träumt Magritte“, 2006, 7 Minuten. Das wäre doch merkwürdig, oder. Man würde schnell Demokratie im Museum einfordern und von Freiheit reden usw.. Also: … Stunt, englisch. Wir schlagen nach: Bedeutung 1 – 1. hemmen (im Wachstum, in der Entwicklung etc.) 2. verkümmern lassen, verkrüppeln Und Stunt, englisch. Bedeutung 2 – 1. Kunststück, Glanzstück, Kraftakt; 2. Sensation a) Schaunummer, b) Bravourstück, c) Schlager Wie bekommen wir das zueinander? Nur zusammengenommen interessiert uns das. Ist es nicht so, dass unsere Fähigkeiten verkümmern, wenn uns alles abgenommen wird und wenn wir uns alles abnehmen lassen. Und dies zu dem, wenn uns dann von irgendwelchen Leuten genau dies vorgemacht wird, und zwar perfekt. Eine Stellvertreterhandlung die abschreckt. Eine Täuschung, die mit unserem Leben nichts zu tun hat. Eine Irritation, die ein Double erzeugt, das wir nicht brauchen, aber andere vielleicht benötigen, zumindest etwas schlaglichtartig deutlich macht. Also ein Spiel.

Buchwald ordnet ganze Werkgruppen unter einem „Kreis der Wahrnehmung“. Was wir hier sehen gehört ausnahmslos dazu. Die drei Kästen mit den Installationen, die jeweils nur das Hineinsehen einer Person zu lassen: – embryonaler Grund: rundes, grünes Unbekanntes. Wie ein Blick zurück in die Ursuppe. Erhalten wir hier Zeugnis vom Beginn des Lebens? – inkonto / Begegnung: Buchwald sucht Orte der Kindheit auf: Schatten auf einer Wiese, Spiegelung im Elbwasser, eine Hauskante, eine Brustwarze? Erinnerungsort? Sehnsuchtsfolie? – mundi circolare: scheinbare und reale Erdbeobachtungen / egal wo / erneut finden wir hier Hinweise auf Elementares, auf fremde Welten / verbrannte Böden 2 Objekte – Große Scheibe. Die in unsere Wirklichkeit gestellte große Blende eines Fotoapparates, die mehr verstellt als offen legt und doch durch den erzwungenen Ausschnitt uns zur Konzentration zwingt. Die Frage die sich dabei einstellt: Was leistet Fotografie und was eben nicht? – Der Hofstaat / Röhrenstaat: Müssen Sie auf der einen Seite nicht auch an die Dekadenz des grünen Gewölbes in Dresden und zwar an „Der Hofstaat des Großmoguls Aureng Zeb“ von Johann Melchior Dinglinger von 1701 – 1708 denken? Und auf der anderen Seite? Die gewollte, durch die Medien hergestellte Einschränkung unserer Wahrnehmungsfähigkeit.

Claus Bach zeigt uns hier einige seiner „Instant“ genannten Objekte. Ich schrieb dazu vor einiger Zeit folgendes: Der nächste Schritt beim Sezieren der die Menschen gestaltenden Verhältnisse, wurde beginnend mit der Serie „Instant“ vollzogen. Vom Lebendigen bleibt der Ein- oder auch Kleinzeller übrig. Begriffen als etwas Ursprüngliches, hängt er hier abgebildet auf Positivfilm zwischen Metallstangen, über denen sich „Nachrichten“ der als strategisches Weichziel begriffenen Kreatur Mensch im Kreise drehen. Das Lesen der Tafeln gelingt nicht. Die Kreisbewegung ist zu schnell, um den Text zu erfassen. Die Mühe darum wird nicht belohnt. Und nicht zuletzt das Video: Weimarer Stadtrundfahrt Wir sehen die Bilder der Fahrt einer Spezialkamera durch die Weimarer Kanalisation. Dabei hören wir die Stimme einer Weimarführerin, die uns links und rechts mit den weithin bekannten Immobilien der Weimarer Klassik bekannt zu machen glaubt. Die Weimarer Verhältnisse, dieser musealen Kruste, diesem verwalteten ewig rückwärtsgewandten Totenkult, so statisch wie statistisch auf diese Weise zu unter„wandern“ , bedurfte einer Ironie auch gegenüber der eigenen Herkunft und schuf so eine Parodie, die in Weimar für Aufregung sorgte und ansonsten für Übersetzungen ins Spanische, Englische und Italienische. Und aufgepasst: die Orte der Bilder im Untergrund sind mit den tatsächlichen Orten über diesem, von denen die Rede ist, in Kongruenz gebracht. Das ist im Übrigen ein Grundprinzip aller Arbeiten hier. Die Wechselwirkungen mit der Wirklichkeit treten offen zu Tage, und da, wo sie uns absurd und abseitig erscheinen, ist diese Absurdität nicht im Kunstwerk, sondern immer in der Wirklichkeit zu finden, die letztendlich durch nichts zu überbieten ist.
Uwe Warnke

Eröffnung am 03.06.2007, 11 Uhr, im Museum Junge Kunst Frankfurt/Oder.

Uwe Warnke

Uwe Warnke – Viermal um den Block

Alternatives Publizieren von Fotografie in der späten DDR

Dass die Fotografie seit ihrem Bestehen auch ein Vervielfältigungsmedium ist und als solches genutzt wird, ist unbestritten. Anachronistisch mutet es jedoch an, wenn in der DDR noch in den 1980er-Jahren bestimmte Aufsätze und Textsammlungen abfotografiert und auf Fotopapier abgezogen werden mussten, weil sie nur so unter Umgehung der Zensur ihre Adressaten erreichten. Das war mit großem Arbeitsaufwand verbunden, aber eine der Möglichkeiten, insbesondere bei großen Textmengen und wenn Eile geboten war, kleine Auflagen herzustellen sowie sich und die Freunde in den Besitz von dem öffentlichen Diskurs entzogenen Texten zu bringen.[1],[2] Dabei waren die Endformate gegenüber dem Ausgangsmaterial zumeist verkleinert, die Abzüge oft nicht gut lesbar, aber es funktionierte. Die Grundlagen zur inhaltlichen Auseinandersetzung waren damit gegeben.

Unter denen, die sich diese Arbeit auferlegten, waren auch junge Fotografen, die nach neuen Formen von Austausch, Widerspruch, Kritik und Anerkennung suchten. Waren sie den Weg über die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB) gegangen, dann fanden sie diese zum Teil im Lehrbetrieb der Hochschule, aber auch außerhalb im Kreis gleichgesinnter Kommilitonen. Wer den Weg nicht gehen konnte oder wollte, blieb als Autodidakt auf andere Formen der Kommunikation angewiesen.

Vor allem in den Großstädten Berlin, Leipzig und Dresden hatten sich in den frühen 1980er-Jahren Szenen gebildet, zu denen neben Künstlern, Dichtern, Schriftstellern, Schauspielern, Super-8-Filmern, Bohemiens und Aussteigern aller Art auch Fotografen gehörten. Der Austausch untereinander war intensiv und außerordentlich frei. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die einzelnen Szenen eigene Foren schaffen und sie mit ihren Inhalten füllen würden.

In ganz Ostberlin gab es einen Laden, in dem die Möglichkeit zum Kopieren von Schwarz–Weiß–Vorlagen angeboten wurde: der Verkaufsraum der PGH Film und Bild in der Schönhauser Allee 28 im Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Ein Mitarbeiter prüfte mit geschultem Blick das ihm überreichte Kopiergut, bevor es vervielfältigt wurde. Eine Kopie kostete 80 Pfennig und jede weitere 40 Pfennig, sodass für fünf Kopien – die maximal zulässige Menge pro Vorlage – 2,40 Mark zu zahlen waren. Wollte man weitere Kopien derselben Vorlage, so war es angebracht, einmal um den Block zu gehen und nach vielleicht fünf Minuten wieder im Laden zu stehen, demselben Mitarbeiter gegenüber. Nur wenn man mit ihm allein war, fragte dieser eventuell, wie oft man denn noch kommen wolle. Waren 25 Kopien nötig, sagte man, dass man nach diesem dann noch dreimal käme. Mit gutem Willen und nur unter vier Augen, wurde die Anzahl der gewünschten Kopien sofort angefertigt. Abgerechnet wurde mit einzelnen Quittungen, so als wäre man fünfmal für jeweils fünf Kopien erschienen. So oder so machte das 12 Mark.

Sowohl die Art und Weise des Vorgangs als auch der Preis schlossen diese Vorgehensweise zur Vervielfältigung von Texten und Bildvorlagen eigentlich aus. Doch auch mit solchen und anderen einfallsreicheren Methoden wurden ab 1982 erste kleine illegale publizistische Projekte gestartet und durchgehalten. Begriffe wie Untergrund, Illegalität, Konspiration sind in diesem Zusammenhang in ihrer zwingenden Eindeutigkeit schwierig und wurden auch damals selten benutzt. Es gab nicht nur dieses Schwarz-Weiß. Es war grauer, ja bunter. Die Grenzen des eigenen Tuns waren fließend, das Agieren zwischen den Fronten oder auf beiden Seiten eher das Typische. Die Regelung, dass es Künstlern erlaubt war, eine 99er-Auflage ihrer eigenen Arbeit ohne Druckgenehmigung zu drucken und dass ein Text, wenn er Teil der Arbeit war, keiner gesonderten Genehmigung bedurfte, wurde weidlich genutzt.[3] Wir wissen aber auch aus Stasiakten, dass die Herausgabe nicht lizenzierter Zeitschriften als Ordnungswidrigkeit behandelt wurde. Der Staat hatte somit eine juristische Handhabe, von der er mit unterschiedlichen Strategien Gebrauch machte.[4] Doch meist blieb es bei der Beobachtung.

1982 entstanden die ‚original-grafischen Künstlerzeitschriften‘ Entwerter/Oder[5] in Berlin und kurz danach UND[6] in Dresden, die sich erst später, nachdem mehrere Ausgaben herausgegeben worden waren, zu Periodika entwickelten. Damit eröffnete sich den Fotografen die Möglichkeit, in einem neuen und unkonventionellen Rahmen eine gewisse Öffentlichkeit zu erreichen.

Als eine Art Kontaktstelle zwischen Fotografen und den Machern dieser illegalen Kunstzeitschriften fungierten die neu entstandenen Präsentationsorte für Fotografie: Kneipen, Jugendklubs, kleine kommunale Galerien, Studentenklubs. Hier wurden Ausstellungseröffnungen zu wichtigen Treffpunkten, um sich kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen und Pläne zu schmieden. Die Zeitschriften machten die Runde. Trotz des damit verbundenen Aufwands für die Fotografen, ihre Bilder in der nötigen Auflage abzuziehen, waren einige von ihnen gerne bereit, bei den Projekten mitzumachen.[7]

Der Mitherausgeber des Anschlag[8], Karim Saab, schreibt 2001 über den hilfreichen Nebeneffekt von Handabzügen und signierten Originalen: „Im Konfliktfall wollten wir uns auf die Freiheit der Kunst berufen.“[9] Für die meisten anderen dieser nicht lizenzierten Periodika wie Entwerter/Oder, UND, Schaden[10], U.S.W.[11], A DREI[12], LIANE[13] war der inhaltliche Bezug zwischen bildender Kunst und Literatur von Anfang an gegeben. Die Kunst, und das schloss die Fotografie mit ein, war ein fester Bestandteil dieser Publikationen. Als das Gemeinsame wurde, über Genregrenzen hinweg, das Subjektive und Individuelle angesehen. Manche vermuteten, dass sich mit dieser Arbeit eine Trennungen zwischen den Genres herbeiführen ließe – Illusionen, die gelegentlich in Kunstprodukten manifest zu werden schienen.

Die Künstlerbuchproduktion nahm Fahrt auf: Der freie Umgang mit Text und Bild, die Handschrift und jegliche Form subjektiven Ausdrucks, visuelle Poesie und vieles mehr fanden nicht zuletzt hier ihren Niederschlag. 1991 schreibt Jens Henkel in einem Aufsatz über Künstlerbücher in der DDR: „Die Fotografie findet sich in den Büchern selten und wurde dann oft über den Siebdruck verfremdet.“[14] Mit dem Wort ‚verfremdet‘ beschreibt er einen Effekt, der nicht immer gewollt war. Nur wenige Siebdrucker[15] besaßen die technischen Voraussetzungen, wie Siebe mit hoher Dichte und dazu eine Farbe, die sich bei dieser Maschendichte noch gut drucken ließ, sowie die notwendigen Fertigkeiten. Nicht selten druckte man mit derselben Siebdrucktechnik, die für Zeichnungen verwendet wurde, auch Fotografien, die zuvor hoch aufgerastert wurden. Dies führte im Ergebnis zu ‚Verfremdungen‘ von Bildern, die sich so weder durch hohe Qualität noch Brillanz auszeichneten. Für Fotopuristen waren die Resultate sicher kein Genuss. Doch angesichts der spärlichen Möglichkeiten wog der hohe Grad an Authentizität dies auf.

Genau genommen waren es auch nicht die Siebdruckproduktionen, die der Fotografie den Weg in die illegalen Buch- und Zeitschriftenproduktionen ebneten, sondern vor allem die originalen Barytabzüge. Spätestens ab Mitte der 1980er-Jahre war die Entwicklung der eigenen Mittel und Methoden unter den mitarbeitenden Fotografen so fortgeschritten, dass sie ihre Fotografien sofort als Originalabzüge, sogenannte vintage prints, in die Publikationen einbinden lassen konnten. Auf diese Weise fanden sich in den Zeitschriften Fotografien von Laien und Autodidakten neben denen professionell ausgebildeter Fotografen.[16] Insbesondere für die nach 1950 Geborenen wurden diese Veröffentlichungsmöglichkeiten ein wichtiges Forum.[17]

Die unterschiedlich starken Fotopapiere waren nicht leicht zu verarbeiten. Diese wurden nur gelegentlich genutet[18], sodass sie das Blättern der Zeitschriften durchaus erschwerten. Dies mag auch ein Grund sein, warum sich die Fotos häufig als Beilagen im Anhang finden.[19] Sie bildeten auch, professionell weiterverarbeitet und auf Buchdeckel aufgezogen, beeindruckende Cover oder fanden sich auf Fotoleinen belichtet und weiterverarbeitet als Umschläge wieder. (Abb. 1–3) Bei der vom Leipziger Fotografen Dietrich Oltmanns mit herausgegebenen Publikation Zweite Person[20] (Abb. 4) ist der Einband jeder Ausgabe mit einer im Siebdruck übertragenen Fotografie von Oltmanns versehen. Auch finden sich gelegentlich im Inhalt reproduzierte Fotografien, die mittels Klischees im Buchdruck verarbeitet wurden. Hier hatte sich Oltmanns mit der dünnen Rückendeckung seiner gerade erfolgten Mitgliedschaft im Verband Bildender Künstler eine Druckgenehmigung beim Rat der Stadt Leipzig besorgt und so seine Vorstellung realisieren können. Ganz offensichtlich hiervon ermutigt, gelang ihm noch ein weiterer Coup: Für das von ihm konzipierte Künstlerbuch Die Stimme des Schweigens[21] mit einem Text von Gert Neumann bot sich für den Druck der Fotografien ein befreundeter Drucker der Hallenser Kunsthochschule Burg Giebichenstein an. Der Offsetdruck wurde auf der dortigen Andruckpresse vorgenommen. Nur im ‚Nebenbei‘ und immer ein wenig auf der Hut konnte so etwas umgesetzt werden.

Eine Spezialität bei der Vervielfältigung von Fotografien bot die im Leipziger VEB Grafischer Großbetrieb Offizin Andersen Nexö arbeitende historische Lichtdruckerei. Dieses besondere Verfahren ließ ein präzises, rasterfreies Druckbild aus echten Halbtönen entstehen. Um dieses zu nutzen, bedurfte es natürlich einer Druckgenehmigung. Gelegentlich wurde diese auf der Basis von gewachsenem Vertrauen nebenbei umgangen. Regelmäßiger fanden hier jedoch die Fotografie-Diplomanden der HGB eine Werkstatt, in der sie ihre individuellen Ansprüche angemessen umsetzen konnten.

Die auf den unterschiedlichsten Wegen zustande gekommenen und so publizierten Arbeiten wurden von den Akteuren nicht ohne Stolz herumgereicht. Und monatlich kam etwas Neues hinzu. Man behütete sie sorgsam, und langsam wuchsen in einigen privaten Regalen kleine Kunstsammlungen heran. Eine besondere Position unter den Künstlerzeitschriften nahmen hier die wenigen, aber umso bemerkenswerteren Sonderausgaben zur Fotografie ein.

Der Konzeptfotograf Kurt Buchwald schlug im Frühjahr 1987 anlässlich einer von ihm organisierten Ausstellung zur konzeptionellen Fotografie[22] in Ostberlin vor, eine Foto-Sonderausgabe von Entwerter[23] herauszugeben. (Abb. 5) Diese eher zufällig entstandene Ausgabe war der Beginn von zahlreichen Foto-Sonderausgaben innerhalb der verschiedenen publizistischen Initiativen.

Cornelia Jentzsch, die auch die bekannte Galerie KKH Treptow ehrenamtlich unterstützte, stellte ebenfalls 1987 eine aufwendige Mappe zusammen, die ausdrücklich der konzeptionellen Fotografie gewidmet war.[24] (Abb. 6)

Unter dem Titel Grenzüberschreitende Projekte, subjektive und konzeptionelle Fotografie wurde 1988 die zweite Foto-Sonderausgabe der Künstlerzeitschrift Entwerter/Oder veröffentlicht.[25]

In Leipzig ging Karim Saab der Frage nach, was zeitgenössische Fotografie noch zu leisten in der Lage wäre. Er lud Fotografen, Autoren und Kunstwissenschaftler ein, gemeinsame Beiträge für ein Portfolio zu erarbeiten. Im Frühherbst 1988 erschien das Ergebnis als beeindruckend umfangreiche Kassette unter dem Titel Foto-Anschlag.[26] (Abb. 7)

Bernd Weise organisierte 1989 in Karl-Marx-Stadt als fünfzehnte Folge der von ihm herausgegebenen Grafikmappe A DREI eine Ausgabe unter dem Titel Aspekte aktueller DDR-Fotografie.[27] (Abb. 8)

Der in diesem Kunstwollen immer zu kurz gekommenen Life-Fotografie nahm sich die dritte Foto-Sonderausgabe von Entwerter/Oder an, die noch im Dezember 1989 verteilt werden konnte.[28] Die vierte Foto-Sonderausgabe folgte 1990 unter dem Titel experimentelle Arbeiten.[29]

Im Nachgang zu der im Sommer 1989 stattgefundenen Ausstellung Fotografie in Aktion[30] in Ostberlin, zu der kein Katalog erschienen war, bemühte sich der Kurator Heinz Havemeister, der auch Mitherausgeber der illegal erscheinenden Künstlerzeitschrift LIANE[31] war, eine Ausgabe dieser Ausstellung zu widmen. (Abb. 9) Es sollte nicht sogleich gelingen und dauerte bis in das Jahr 1990. Im Herbst 1989 war zunächst Wichtigeres zu erledigen als dies.

Uwe Warnke ist Autor, Verleger und Herausgeber von Entwerter/Oder


[1] Ein Beispiel ist das in der DDR nicht zur Verbreitung gekommene Protokoll der Berliner Begegnung zur Friedensförderung, einem zweitägigen Treffen auf Einladung des DDR-Schriftstellers Stephan Hermlin nach Ostberlin am 13./14.12.1981, mit rund 100 Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern aus beiden deutschen Staaten sowie  aus Westberlin und weiteren europäischen Ländern. Vervielfältigtes Dokument im Besitz des Deutschen Historischen Museum, Berlin.

[2] Die Nutzung der mechanischen Schreibmaschine mit Durchschlägen mittels Kohlepapier war eine weitere Möglichkeit, die durch das Abschreiben allerdings zeitaufwendiger war. Auch Lichtpausen oder das Ormig-Verfahren kamen zum Einsatz.

[3] Vgl. Ministerium für Kultur der DDR, „Anweisung über die nicht verlagsgebundene örtliche Publikationstätigkeit, Berlin, 21.05.1984“.

[4] Die Herausgeber und Teilnehmer der in Halle mit nur drei Ausgaben erschienenen Künstlerzeitschrift Galeere (1985/1986) wurden mit Ordnungsgeldern, Disziplinarverfahren und Studienunterbrechungen bestraft, womit letztlich das Ende ihres Projektes erzwungen wurde.

[5] Entwerter/Oder, hrsg. von Uwe Warnke, Siegmar Körner, Ostberlin 1982; seit 1983 hrsg. von Uwe Warnke. Bis 1989 erschienen 39 Ausgaben und 9 Sonderausgaben. Die Zeitschrift wird bis heute verlegt.

[6] UND, hrsg. von Lothar Fiedler, Dresden 1982–1984, 15 Ausgaben.

[7] Es gab alles, was man benötigte (Filme, Fotopapiere, Entwickler, Fixierbad etc.); aber vielleicht nicht genau das, was man wollte, und nicht unbedingt dann, wenn man es brauchte. Zu haben waren unterschiedlich starke Fotopapiere in matt, halbmatt und glänzend in fester Gradation, Dokumentenpapier mit gröberer Körnung und Fotoleinen; erhältlich von der Rolle oder formatiert zugeschnitten.

Die Heterogenität der verwendeten Materialien in den Künstlerzeitschriften und Editionen erzählt heute noch davon. Auch dies wurde in der Wendezeit bei den nun aufmerksam gewordenen Sammlern in Westeuropa und Nordamerika, neben der Subjektivität und Eigenständigkeit des hier zu findenden künstlerischen Ausdrucks, ein Charakteristikum, nach dem gesucht wurde.

[8] Anschlag, hrsg. von Angelika Klüssendorf u. a., Leipzig 1984–1989, 10 Ausgaben.

[9] Karim Saab, „Eigenwillig und illegal – Die Zeitschrift ‚Foto-Anschlag‘“, in: Foto-Anschlag. Vier Generationen ostdeutscher Fotografen, hrsg. von Zeitgeschichtliches Forum Leipzig, 2001, S. 8.

[10] Schaden, hrsg. von Sascha Anderson u. a., Ostberlin 1984–1987, 17 Ausgaben.

[11] U.S.W., hrsg. von Micha Brendel, Dresden 1984–1987, 12 Ausgaben.

[12] A DREI, hrsg. von Claus Löser und Frank Brettschneider, ab 1986 von Bernd Weise, Karl-Marx-Stadt 1983–1990, 16 Ausgaben.

[13] LIANE, hrsg. von Susanne Schleyer, Volker Handloik, Heinz Havemeister, Michael Thulin, Ostberlin, seit 1988, bis 1990 7 Ausgaben, erscheint noch.

[14] Jens Henkel, „Die Bibliophilie der ‚Andersdenkenden‘ – Künstlerbücher in der DDR“, in: Ders., Sabine Russ, DDR 1980–1989. Künstlerbücher und originalgrafische Zeitschriften im Eigenverlag. Eine Bibliografie, Gifkendorf 1991, S. 10.

[15] Neben anderen lieferten Gottschalk in Dresden, Tauer in Leipzig, und Götze in Halle unter diesen Bedingungen dennoch Hervorragendes ab.

[16] „Neu war, dass Arbeiten von Künstlern, die ein Studium absolviert hatten, gleichberechtigt mit Arbeiten von ernstzunehmenden Autodidakten vereint waren. Dadurch erhielten diejenigen Künstler, die nicht im DDR-Künstlerverband waren, eine größere Öffentlichkeit. Gern wurden Autodidakten von offizieller Seite ins kriminelle Abseits gedrängt“, schreibt Bernd Weise, „A DREI“, in: Yvonne Fiedler, Galerie Boykott. Eine kunsthistorische Betrachtung zur Geschichte der privaten Galerien in der DDR, Chemnitz 2010.

Natürlich lässt sich unter den fotografischen Äußerungen der ca. 130 Künstler, die Fotografien einlieferten, auch manches Epigonale, Laienhafte, Unfertige finden. Die Suche nach Ausdruck, das Finden einer eigenen Sprache, das Bekenntnis zum Subjekt, die Reflexion des Mediums … all das ist allerdings in verschieden ausgeprägten Qualitäten zu finden. Das Unwichtige ist sicher schnell überblättert. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass diese außerordentlich breite Beschäftigung mit dem Medium Fotografie mit dazu beitrug, einzelne hervorragende Positionen hervorzubringen.

[17] Unter anderem passierte dort das, was T. O. Immisch innerhalb der Fotografie treffend „als Bewegung von der Fremdbestimmung zur Autonomie, vom Abbild zum Bild, von der angewandten Arbeit zur Kunst“ beschreibt. Zit. nach T. O. Immisch, „Dokument und Inszenierung. Zu einigen Photographien aus Künstler-Publikationen im Selbstverlag“, in: Mensch!: Photographien aus Dresdener Sammlungen, hrsg. von Wolfgang Hesse, Katja Schumann, Marburg 2006, S. 145.

[18] Mechanisch werden längs zum Buchrücken Rillen eingeprägt; sie dienen dem besseren Blättern.

[19] Harald Hauswald, Entwerter/Oder-Sonderausgabe, 1, 1984; Matthias Creutziger, Entwerter/Oder, 11, 1984; Karin Wieckhorst, Anschlag, 5, 1986, Schaden, 6, 1986, Schaden, 10, 1986, Schaden, 12, 1986 und Schaden, 14, 1987; Thomas Florschütz, Schaden, 1, 1984 und Schaden, 3, 1985; Micha Brendel, Schaden, 2, 1984, Schaden, 6, 1985, Schaden, 9, 1986, Schaden, 13, 1986 und Schaden, 15, 1987, usf, 1, 1986; Bernd Janowski, Gerd Danigel, Schaden, 3, 1985; Bernd Janowski, Gundula Schulze, Schaden, 5, 1985; Heike Stephan, Bernd Janowski, Schaden, 12, 1986; Jochen Wermann, Schaden, 6, 1985; Werner Lieberknecht, usf., 1, 1986; Jens Rötzsch, Schaden, 13, 1986.

[20] Zweite Person, hrsg. von Dietrich Oltmanns u. a., Leipzig 1987–1989, 5 Ausgaben.

[21] Gert Neumann, Dietrich Oltmanns, Stimme des Schweigens, Leipzig 1988.

[22] Achtung/Attention/Wnimanie. Konzeptionelle Fotografie, kuratiert von Kurt Buchwald, Club der Bauarbeiterjugend, Ostberlin, 05.07.–02.08.1987.

[23] Entwerter-Foto-Sonderheft, 1: Zur konzeptionellen Fotografie, hrsg. von Uwe Warnke, Kurt Buchwald, mit Fotografien von Andreas Tesch, Andreas Seeliger, Boris Ogrissek, Burkhard Wunder, Frank Herrmann, Kurt Buchwald, Florian Merkel und Texten von Jörg Sperling, Rolf H. Kraus, Gabriele Muschter, Jörg Waehner, Bernd Weise, Kurt Buchwald, Andreas Tesch, 21 x 29,7 cm, 20 Exemplare, Ostberlin 1987.

[24] O. T., konzeptionelle Fotografie, hrsg. von Cornelia Jentzsch, mit Fotografien von Peter Oehlmann, Klaus Elle, Rainer Görß, Kurt Buchwald, Micha Brendel, Klaus Hähner-Springmühl, Else Gabriel sowie Texten von Hans J. Schulze, Gabriele Muschter, Rainer Schedlinski, Klaus Elle, Jörg Waehner, Cornelia Jentzsch, Umschlag von Heike Stephan, 35 x 45 x 5 cm, 25 Exemplare, Ostberlin 1987.

[25] Entwerter-Foto-Sonderheft, 2: Grenzüberschreitende Projekte, subjektive und konzeptionelle Fotografie, hrsg. von Uwe Warnke, Kurt Buchwald, mit Fotografien von Stephan Gustavus, Reinhard Saczewski, Irene Fischer, Claus Bach, Florian Merkel, Kurt Buchwald, Frank Herrmann, Martin Claus, Jörg Knöfel, Samia Hussein, Gerd Sonntag und Texten von Kurt Buchwald, Uwe Warnke, Ulrike Stöhring, Jörg Sperling, Heinz Havemeister, Stefan Raum, Christoph Tannert, Ralf Herzig, T. O. Immisch, 21 x 29,7 cm, 25 Exemplare, Ostberlin 1988.

[26] Foto-Anschlag, hrsg. von Karim Saab, mit Fotografien von Evelyn Richter, Klaus Hähner-Springmühl, Klaus Elle, Frank Herrmann, Michael Scheffer, Uwe Frauendorf, Micha Brendel, Jörg Knöfel, Carolyn Macartney, Ulrich Wüst, Jens Walter, Werner Lieberknecht, Rainer Görß, Kurt Buchwald, Maria Sewcz, Tina Bara, Viola Vassilieff, Samia Hussein, Peter Oehlmann, Jens Rötzsch, Dietrich Oltmanns, Matthias Hoch, Karin Wieckhorst, Peter Thieme, Bertram Kober, Christiane Eisler, Sven Marquardt, Gundula Schulze, Ernst Goldberg, Else Gabriel, Gunnar Porikys und Andreas Seeliger sowie Texten von Willi Baatz, Klaus Werner, Klaus Elle, Jörg Sperling, Michael Scheffer, Olaf Nicolai, Yuri Winterberg, Ulrike Stöhring, Leonhard Lorek, Matthias Flügge, Olaf Stoy, Rainer Görß, Kurt Buchwald, Gabriele Muschter, Heinz Havemeister, Dietrich Oltmanns, Jens Rötzsch, Matthias Hoch, Christoph Tannert, Gundula Weimann, Gundula Schulze, Ernst Goldberg, Cornelia Jentzsch, Gunnar Porikys und Andreas Seeliger, 26 x 34 x 6,5 cm, 40 Exemplare, Leipzig 1988.

[27] A DREI, 1/89/15, Aspekte aktueller DDR-Fotografie, hrsg. von Bernd Weise, mit Fotografien von Erich Wolfgang Hartzsch, Olaf Rauh, Peter Franke, Manfred Butzmann, Klaus Hähner-Springmühl, Robert Paris, Florian Merkel, Tina Bara, May Voigt, Gundula Schulze, Jörg Knöfel, Kurt Buchwald, Frank Herrmann, Andreas Seeliger, Ernst Goldberg, Ralf-Rainer Wasse und Eva Mahn, 29,7 x 42 cm, 30 Exemplare, Karl-Marx-Stadt 1989.

[28] Entwerter-Foto-Sonderheft, 3: zur sogenannten LIVE-Fotografie [sic], hrsg. von Uwe Warnke, Kurt Buchwald, mit Fotografien von Maria Sewcz, Jörg Franke, Claus Bach, Jürgen Gebhardt, Robert Paris, Sabine Voerster, Arno Wolff, Kurt Buchwald, Jochen Janus, Reinhard Münch, Uwe Frauendorf, Bertram Kober, Renate Zeun, Bernd Lasdin, Matthias Hoch, Joachim Richau, Harald Hauswald und Texten von Uwe Warnke, Gabriele Muschter, Jörg Kowalski, 21 x 29 cm, 25 Exemplare, Ostberlin 1989.

[29] Entwerter-Foto-Sonderheft, 4: experimentelle Arbeiten, hrsg. von Uwe Warnke, Kurt Buchwald, mit Fotografien von Andreas Tesch, Jürgen Nagel, Ingrid Behm, Uwe Rohnstock, Susanne Schleyer, Stephan Gustavus, Kurt Buchwald, Michael Scheffer, Bernd Borchardt, Ernst Goldberg, Claus Bach, Sabine Jahn, Karin Wieckhorst, Andreas Seeliger, Wolfgang Lieberknecht/Olaf Stoy, Michael Kirsten, Jochen Wermann und Texten von Michael Scheffer, Thomas Günther, Jörg Waehner, Ralf Bartholomäus und Kurt Buchwald, 21 x 29 cm, 25 Exemplare, Berlin 1990.

[30] Fotografie in Aktion, Haus der jungen Talente, Ostberlin, 20.07.–11.08.1989.

[31] LIANE, 7: Fotografie in Aktion, hrsg. von Heinz Havemeister, Susanne Schleyer, mit Fotografien von Micha Brendel, Kurt Buchwald, Else Gabriel, Ernst Goldberg, Klaus Hähner-Springmühl, Erich Wolfgang Hartzsch, Frank Herrmann, Samia Hussein/Gerd Sonntag, Florian Merkel, Klaus Storde/Martin Claus, Jörg Waehner, Ralf-Rainer Wasse, Karin Wieckhorst und Arno Wolff sowie Texten von Ulrike Stöhring, Else Gabriel, Jörg Waehner, Micha Brendel und Heinz Havemeister, 21 x 30 cm, 30 Exemplare, Berlin 1990.

Lutz Matschke – Schaufenster Berlin

Was ist wirklich? Was spiegelt wen? Angezogene Puppen hinter Glas. Lutz Matschke fotografierte in Berlin die Resultate einer Textilindustrie, der Modebranche, inszeniert in Schaufenstern. Das Zur-Schau-Gestellte sucht stetig unseren Blick. Wir stehen an der Seite des Fotografen und blicken von Außen. Wir behaupteten, wir wären achtlos an den Schaufenstern vorüber gegangen und ahnen doch, dass das nur die halben Wahrheit ist.
Diese Fenster sind Teil einer Stadtkultur. Sie üben ihren Einfluss aus, haben Showcharakter, sind gegebenenfalls Event. Hier wird nicht aufgeklärt; hier wird geprägt. Das Geschäft ist dabei längst gemacht.
Was wird dabei wem versprochen oder gehen wir mit dieser Frage bereits allem auf den Leim? Nicht zu übersehen: Individualisierungsverpflichtung als Chimäre eines Konsumversprechens. Die Folie: ein temporäres Ideal. Subjektivität, die ihre Zeit hat und auf der Haut getragen wird. Massenkonsum als Lieferant der Selbstinszenierung. Werbung als Verheißung, dass dies auf diesem Wege möglich sei (als schlössen sich Masse, Konsum und Subjekt nicht aus). Und schließlich: nicht selber sehen aber gesehen werden. Fassaden scheinbarer Bewegung. Moralischer Verschleiß.
So viel Haut – und dennoch entsteht keine Erotik, nichts Amouröses. Es sind Oberflächen und diese werden zu Markte getragen; sie sind glatt, steril, aseptisch. Hinter den Scheiben Atmosphären von lauwarm bis kalt.
Die Fantasie der Hersteller trifft auf die Fantasie der Werbegestalter, die nicht zwangsläufig eine freiwillige sein muss. Es wird nicht denunziert. Die Abhängigkeiten sind zu klar. Meinung ist nicht gefragt. Spannend wäre es allerdings. Alle funktionieren – und das sieht man – bis zum nächsten Mal.
Die Fotografien deuten an, dass diese Räume ein Gegenüber haben; es muss irgendwo eine Gesellschaft geben. Bestenfalls ist sie es, die diesen Stillstand aufhebt und die dem Schein ein Ende macht.

Uwe Warnke, Berlin 2013

anlässlich einer Ausstellung von Fotoarbeiten Lutz Matschkes im

Unterwegs, Antiquariat und Galerie von Marie-Luise Surek-Becker, Torstraße 95, Berlin

 

ENGLISCH

Schaufenster Berlin

What is real? What reflects what? Dressed mannequins behind glass. Lutz Matschke photographed Berlin performances in stained glass, result of the textile industry, almost a branch of fashion. The contemplable set-up constantly calling for attention. We stand close to the photographer and look from the outside. We intend to remain unnoticed but we glimpse that everything is only half of the truth.
These windows are part of an urban culture. They exert an influence, they show character, they are almost an event. There is no enlightment, just a statement. At the same time the transaction eventuated long ago.
However, what is promised to whom? Challenging may just make us fall into the trap. To note: individualization commitment as a chimera of consumer’s faith. The shell as temporary ideal. Subjectivity that has its time and is worn on the skin. Mass consumption as provider of self-representation.
Advertising as an inducted mirage, as a way to a feasible possibility (as if mass, consumption and subject wouldn’t be excluded).
And finally: not seeing for oneself, but being observed. Facades of apparent emotion. Moral abrasion.
Much skin and yet no erotism. These are surfaces brought to the market; smooth, sterile, aseptic. Lukewarm or cold atmospheres behind the glasses.
The imagination of the manufacturer meets the imagination of marketing designers, which may not be necessarily voluntary. There is no claim. Dependencies are too obvious. There is no opinion needed. However, it would be exciting if there was. Everything works (surprisingly) till next time.
The photographs suggest that these spaces have a front; there must be a society somewhere. In the best case it is this society the one that puts an end to the silence with a note.

Uwe Warnke, Mai 2013

Uwe Warnke, author, publisher and curator, lives in Berlin

Lutz Matschke´s „Schaufenster Berlin“ show can be seen at Galerie UNTERWEGS, Torstr. 93, Berlin-Mitte, from June 7th – July 4th. Verninssage, Thursday June 6th, 7 PM.

 

SPANISCH

Schaufenster Berlin

¿Qué es lo verídico? ¿Qué refleja a quien? Maniquíes vestidos tras un vidrio. Lutz Matschke fotografió escenificaciones en vidrieras berlinesas, resultados de una industria textil, casi una ramificación de la moda. El montaje-contemplable busca continuamente nuestra mirada. Estamos junto al fotógrafo y observamos desde fuera. Pretendemos pasar inadvertidos frente a las vidrieras, pero entrevemos que es solo la mitad de la verdad.

Estas ventanas son parte de una cultura urbana. Ejercen su influencia, tienen caracter de show, llegado el caso son hasta un evento. Aquí no se esclarece; aquí se imparte. Al mismo tiempo el negocio ya está hecho hace rato.

Sin embrago, ¿qué se le promete a quien?, ¿o cuestionándonos ya caemos en la trampa? Nada inadvertido: compromiso de individualización como quimera de una fe consumista. La cáscara como un ideal temporario. Subjetividad que tiene su tiempo, llevada sobre la piel. Consumo de masas como proveedor de la autoescenificación.

La publicidad como una promesa, como camino de una posibilidad factible (como si no se excluyesen la masa, el consumo y el sujeto). Y finalmente: no ver por uno mismo, pero ser observado. Fachadas de emoción aparente. Abrasión moral.

Tanta piel: que con todo no engendran erotismo, nada amoroso. Son superficies llevadas al mercado, son lisas, estériles, asépticas. Atmósferas desde tibias a frías detrás de los cristales.

La fantasía del fabricante acierta sobre la fantasía del publicista, que no debe ser forzosamente voluntaria. No se denuncia. Las dependencias son demasiado claras. No se reclama una opinión. No obstante sería emocionante que lo hicieran. Todos funcionan –notoriamente – hasta la próxima vez.

Los fotografías insinúan que estos recintos tienen un enfrente; en algún lugar debe de haber una sociedad. En el mejor de los casos es aquella, quien abandona su quietud y efectúa un final con un billete.

Uwe Warnke, Mayo 2013

Uwe Warnke, es autor, editor y curador, vive en Berlin

Schaufenster Berlin“ de Lutz Matschke se exhibe en la Galerie UNTERWEGS, Torstrasse 93, Berlin-Mitte, desde el 7 de Junio al 4 de Julio de 2013. Verninssage, Jueves 6 de Junio, 19 hs.