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Kurt Buchwald

Kurt Buchwald und Claus Bach: STUNTS im Museum Junge Kunst, Frankfurt / Oder

Kurt Buchwald. Claus Bach. Stunts. Stunts? Im Museum? Warum? Was ist da so gefährlich? Und für wen? Sind die Künstler die Stuntmen oder haben dieselben um Unterstützung angesucht? Bei wem? Wer macht wem etwas vor? Sind wir die Zuschauer oder sind wir Akteure? Übernehmen wir, das Auditorium, eine Ersatzhandlung an Stelle der gesamten Öffentlichkeit? Ersatzhandlungen? Dazu vielleicht später mehr. Das Spiel ist offen und beide Künstler geben uns mit diesem Titel eine Handreichung doch nachzufragen, mit wem und womit wir es hier denn tatsächlich zu tun haben. Gibt es auch da mehrere Möglichkeiten? Claus Bach, woran erinnert Sie dieser Name? Noch dazu in einem Museum, welches an der Bach-Straße liegt und unweit eines großen Flusses? Richtig, an den Autor gleichen Namens der nicht vergessenen Bücher „Rugby verständlich gemacht.“ oder „SportRegeln: Rugby Die offiziellen Regeln.“ oder einfach „Rugby“ (alle 1992 erschienen). Und Buchwald? Vom Wald einmal abgesehen, welcher Sportsmann ist da gemeint? Oder doch das Café gleichen Namens in Berlin Tiergarten unweit der Spree mit dem hochgerühmten, nach Cottbuser Variante, schwerer als die Salzwedeler Art übrigens, seit 1852 hergestellten Baumkuchen? War das schon die erste Werbeunterbrechung? Hilft uns das weiter?

Zwei Fotografen, zwei Künstler, die sich aus den subkulturellen Zusammenhängen der 80er Jahre in der DDR kennen. Beide damals binnen kurzem auf der Suche nicht nur der Enge der Verhältnisse sondern auch dem scheinbar Festgefügten künstlerischer Vorstellungen der Altvorderen zu entkommen. Dabei gibt es große Schnittmengen. Beiden reicht schon bald das fotografische Einzelbild nicht mehr, Bildserien folgen. Deren logische Folgerungen und nächste Schritte sind, fast zwangsläufig, der Film, das Video. Objekte fallen an. Sie sind innehaltende Geste, Performancerest, dinggewordene Idee, Wegmarkierung. Mehr als Störfeld denn als Orientierungshilfe. Diese Logik heißt nicht, dass das Eine das Andere ablöst. Die Dinge behaupten sich und ihren Platz und zwar nebeneinander. Wahrnehmungen und Wahrnehmungsmuster werden untersucht. Das verbindet.

Wahrnehmung: Form der ideellen Widerspiegelung der objektiven Realität vermittels des Zentralnervensystems der Tiere und der Menschen. Da haben wir’s. Ohne sie kein Überleben. Sie ist dem Leben wesenseigen. Was übrigens ständig als bedingt reflektorischer Akt nach dem Prinzip der Rückkopplung in Teilen der Großhirnrinde passiert, als Synthese von Reizen aller Rezeptoren. Es steht also gar nicht die Frage im Raum, ob wir diese Mittel der Weltaneignung, die uns zur Verfügung stehen, einsetzen oder einzusetzen bereit sind. Wir tun es unablässig – es passiert.

Dennoch ist Täuschung möglich! Wie wir wissen, sind wir zumindest hinreichend genug geschützt, da unsere Wahrnehmung einen bewussten Charakter hat und diese mit den bereits erworbenen Erfahrungen korreliert. Wir schaffen so Abbilder der objektiven Realität, vermittelt durch die eigene subjektive Erkenntnistätigkeit. Sie sehen, es handelt sich um eine Einheit von Objektivem und Subjektivem. Das ist Wahrnehmung. Wir können ohne sie nur sehr eingeschränkt sein. Wir nehmen alle permanent wahr. Und zwar mit allen Sinnen. Ein Sonderfall ist diese Situation hier heute Vormittag in der wir alle vorgeben, an demselben wahrzunehmen bereit und interessiert zu sein. Deswegen sind wir ja schließlich hier. Das schöne daran ist nun, das die Ergebnisse dessen nicht dieselben, ja nicht einmal die gleichen sind, sich vielleicht nicht einmal ähneln. Sie sind genau so viele male verschieden, wie wir Besucher hier sind. So sind wir. So ist der Mensch. So ist die Welt.

Das bringt eine Menge Probleme mit sich, sorgt aber auch für Abwechslung. Wir sind immer wieder dabei dies erneut zu lernen. Unsere Mittel: Vertrauen, Geduld, Wiederholung, Kommunikation. Im Mittelpunkt dieser Ausstellung stehen Videos. Stehen? Sie stehen nicht, sie laufen, also die Bilder. Sie merken schon, es ist schwierig. Unsere Sprache läuft den Ereignissen hinterher. Ein Video muss wiederholt werden, damit es präsent bleibt. Es ist zur Wiederholung gezwungen. Dies scheint eines seiner Prinzipien zu sein. Weil sich in ihm Bilder aneinanderreihen, sie nacheinander entstehen und wieder verschwinden und dabei schließlich Zeit vergeht. Es hat dadurch mehr mit Musik zu tun, mit Theater auch. Das das Zeit braucht ist uns immer etwas unangenehm. Da wird uns etwa eine Verweildauer vorgeschrieben. Einem anderen Kunstwerk, einer Plastik, einem Bild würden wir die Wiederholung als inhärenten Bestandteil gar nicht unterstellen wollen, nicht wahr? Dabei vergeht doch bei der Wahrnehmung desselben ebenso Zeit. Nur, weil wir, was die von uns aufgewendete Zeit angeht, selbst entscheiden können, Zeit als Wahrnehmungsdauer nicht implantiert scheint, urteilen wir hier anders. Würde man diese Zeit allerdings auch solchen Kunstwerken zuschreiben, natürlich nach bestem Wissen und Gewissen eines Kurators oder vielleicht sogar nach einer Empfehlung des noch lebenden Künstlers, wie wären wir irritiert und würden von Anmaßung sprechen. Ein Beispiel? Vielleicht so: Peter Herrmann „James Ensor träumt Magritte“, 2006, 7 Minuten. Das wäre doch merkwürdig, oder. Man würde schnell Demokratie im Museum einfordern und von Freiheit reden usw.. Also: … Stunt, englisch. Wir schlagen nach: Bedeutung 1 – 1. hemmen (im Wachstum, in der Entwicklung etc.) 2. verkümmern lassen, verkrüppeln Und Stunt, englisch. Bedeutung 2 – 1. Kunststück, Glanzstück, Kraftakt; 2. Sensation a) Schaunummer, b) Bravourstück, c) Schlager Wie bekommen wir das zueinander? Nur zusammengenommen interessiert uns das. Ist es nicht so, dass unsere Fähigkeiten verkümmern, wenn uns alles abgenommen wird und wenn wir uns alles abnehmen lassen. Und dies zu dem, wenn uns dann von irgendwelchen Leuten genau dies vorgemacht wird, und zwar perfekt. Eine Stellvertreterhandlung die abschreckt. Eine Täuschung, die mit unserem Leben nichts zu tun hat. Eine Irritation, die ein Double erzeugt, das wir nicht brauchen, aber andere vielleicht benötigen, zumindest etwas schlaglichtartig deutlich macht. Also ein Spiel.

Buchwald ordnet ganze Werkgruppen unter einem „Kreis der Wahrnehmung“. Was wir hier sehen gehört ausnahmslos dazu. Die drei Kästen mit den Installationen, die jeweils nur das Hineinsehen einer Person zu lassen: – embryonaler Grund: rundes, grünes Unbekanntes. Wie ein Blick zurück in die Ursuppe. Erhalten wir hier Zeugnis vom Beginn des Lebens? – inkonto / Begegnung: Buchwald sucht Orte der Kindheit auf: Schatten auf einer Wiese, Spiegelung im Elbwasser, eine Hauskante, eine Brustwarze? Erinnerungsort? Sehnsuchtsfolie? – mundi circolare: scheinbare und reale Erdbeobachtungen / egal wo / erneut finden wir hier Hinweise auf Elementares, auf fremde Welten / verbrannte Böden 2 Objekte – Große Scheibe. Die in unsere Wirklichkeit gestellte große Blende eines Fotoapparates, die mehr verstellt als offen legt und doch durch den erzwungenen Ausschnitt uns zur Konzentration zwingt. Die Frage die sich dabei einstellt: Was leistet Fotografie und was eben nicht? – Der Hofstaat / Röhrenstaat: Müssen Sie auf der einen Seite nicht auch an die Dekadenz des grünen Gewölbes in Dresden und zwar an „Der Hofstaat des Großmoguls Aureng Zeb“ von Johann Melchior Dinglinger von 1701 – 1708 denken? Und auf der anderen Seite? Die gewollte, durch die Medien hergestellte Einschränkung unserer Wahrnehmungsfähigkeit.

Claus Bach zeigt uns hier einige seiner „Instant“ genannten Objekte. Ich schrieb dazu vor einiger Zeit folgendes: Der nächste Schritt beim Sezieren der die Menschen gestaltenden Verhältnisse, wurde beginnend mit der Serie „Instant“ vollzogen. Vom Lebendigen bleibt der Ein- oder auch Kleinzeller übrig. Begriffen als etwas Ursprüngliches, hängt er hier abgebildet auf Positivfilm zwischen Metallstangen, über denen sich „Nachrichten“ der als strategisches Weichziel begriffenen Kreatur Mensch im Kreise drehen. Das Lesen der Tafeln gelingt nicht. Die Kreisbewegung ist zu schnell, um den Text zu erfassen. Die Mühe darum wird nicht belohnt. Und nicht zuletzt das Video: Weimarer Stadtrundfahrt Wir sehen die Bilder der Fahrt einer Spezialkamera durch die Weimarer Kanalisation. Dabei hören wir die Stimme einer Weimarführerin, die uns links und rechts mit den weithin bekannten Immobilien der Weimarer Klassik bekannt zu machen glaubt. Die Weimarer Verhältnisse, dieser musealen Kruste, diesem verwalteten ewig rückwärtsgewandten Totenkult, so statisch wie statistisch auf diese Weise zu unter„wandern“ , bedurfte einer Ironie auch gegenüber der eigenen Herkunft und schuf so eine Parodie, die in Weimar für Aufregung sorgte und ansonsten für Übersetzungen ins Spanische, Englische und Italienische. Und aufgepasst: die Orte der Bilder im Untergrund sind mit den tatsächlichen Orten über diesem, von denen die Rede ist, in Kongruenz gebracht. Das ist im Übrigen ein Grundprinzip aller Arbeiten hier. Die Wechselwirkungen mit der Wirklichkeit treten offen zu Tage, und da, wo sie uns absurd und abseitig erscheinen, ist diese Absurdität nicht im Kunstwerk, sondern immer in der Wirklichkeit zu finden, die letztendlich durch nichts zu überbieten ist.
Uwe Warnke

Eröffnung am 03.06.2007, 11 Uhr, im Museum Junge Kunst Frankfurt/Oder.