Gerhild Ebel: die Autorin, die Buchkünstlerin, die Künstlerin. Wir kommen nicht umhin, dies alles zu benennen, denn dies alles ist richtig – folgerichtig möchte ich sagen. Der Text stand am Anfang. Er suchte und wurde schließlich Buch. Beides begleitet die Künstlerin bis heute und fordert sie immer wieder, mit durchaus überraschenden Ergebnissen, heraus.
Gestatten Sie mir bereits hier eine kleine Abschweifung: Gerhild Ebel ist im Reigen der V.O.Stomps-Preisträger dieses Stadtbezirkes die zweite. Übrigens von mittlerweile vieren. Die Anhäufung dieser Preisträger in diesem Bezirk ist erstaunlich und sicher deutschlandweit einmalig, zumal dieser Preis für „eine kleinverlegerische Leistung“ in Mainz vergeben wird.
Das Medium Buch wird der Künstlerin jedoch gelegentlich zu eng, reicht ihr manchmal nicht und ihre Kunst sucht sich, und dies nun auch schon seit Jahren, darüber hinaus andere Wege. Mappenwerke sind das Bindeglied. Aber manchmal müssen selbst diese gesprengt werden. Es geht nicht anders. Was dennoch bleibt ist das serielle Moment. Mit dem Solitär gibt sie sich selten zufrieden, auch wenn er schon mal vorkommt. Das Prinzip der Serie ist hingegen hilfreich dabei, etwas deutlicher zu machen.
Gerhild Ebels Methode stellt immer den Versuch dar, hinter die Bilder zu schauen. Oder besser: sie schafft Bilder, die auf ihr eigenes Dahinter verweisen, dieses befragen, auf eine Analyse aus sind. Auch hier geht sie diesen Weg. Es ist Teil ihrer Arbeit, ein Bild zu zerlegen. Wichtige und feste Bestandteile von Kunstwerken, isoliert sie und präsentiert sie uns als eigene Bildlösungen. Analyse meint genau dies: Zerlegung, Zergliederung, Auflösung, Untersuchung.
Auf den ersten Blick fällt die Ausstellung in zwei Teile. Die politisch intendierten Arbeiten und die marktkritischen. Das Verbindende dabei ist der nicht zu übersehende parodistische Blick der Künstlerin. Wird in “shots“ die Oberfläche gar durchschossen, so wird in “portraits“ ebenso versucht hinter eine, wenn auch eine andere Oberfläche zu schauen, sind Signaturen und Preise Teile einer Marke und des Marktes.
“signatures“: Die reinen Signaturen von Künstlern, deren Teilhabe am Kanon gar nicht bezweifelt werden soll, als Bild. Können wir das auch als ihre Form der Wertschätzung lesen? Das Zitat ist kein Kniefall, meine Damen und Herren, soviel ist sicher. Hier wird etwas Unbezweifelbares benutzt, um auf ein ganz anderes Phänomen hinzuweisen. Die Verselbständigung einer bloßen Marke ist hinlänglich bedauerlich, aber gang und gäbe. Das NO LOGO einer Naomi Klein verwies zwar nicht auf die Kunst, erzeugt bei mir aber auch diesbezüglich eine Nachdenklichkeit, die ich mir in der Kunstszene präsenter wünschte und die uns zwingt, eben nicht nur auf den Namen / die Marke zu schauen.
Mit den Verkaufspreisen verhält es sich ähnlich. Auch diese scheinen, angekommen in einer gewissen schwindelerregenden Höhe, erst dann Bedeutung herzustellen. Warum dann nicht nur noch über die Preise reden. Aber das passiert ja längst. Ebel zeigt dies deutlich. Sie macht die Preise zum Bildinhalt. “prices“: Einfarbig hellgrün gestrichene Leinwände tragen formatfüllend ihren jeweiligen Preis in rot. Aufgepasst! Vielleicht ist da ja auch ein Schnäppchen dabei?
So parodiert sie. So führt sie uns aufs Glatteis. Wenn es teilweise nicht so bitter wäre könnte man sagen, sie macht sich lustig.
“portraits“ kann als ein weiterer Versuch gelesen werden, die Oberfläche zu durchschauen. Habe die Maler bisher natürlich auch bereits versucht, hinter die Maske einer Person zu gelangen, so bleiben doch ihre Portraits letztendlich ein subjektiver Ausdruck des Künstlers. Bei Gerhild Ebel haben wir es mit analytischen Schritten zu tun, die sich einer objektiven Darstellung annähern und lediglich subjektiv, durch Auswahl des Formates, der Größe der Schrift, der Verteilung auf der Fläche usw., ästhetisch in Szene gesetzt werden. Dies ist der Unterschied. Sie selbst sagt dazu: „Wurden bislang in der Bildenden Kunst Menschen in erster Linie über ihr Äußeres abgebildet, fand ich es spannend, auch einmal das Innere, das Wesen des Menschen zu zeigen. Zu sehen sind Psychogramme: Dabei steht jeder Buchstabe für eine Charaktereigenschaft, jede Zahl für den Ausprägungsgrad des Merkmals. Die Farbgebung kam zustande, indem die jeweilige Person gebeten wurde, die Farbkombination zu nennen, die ihr entspricht.“ Meine Damen und Herren, solche Sätze wie: „Der erinnert mich aber an …“ oder „Die sieht aus wie …“ werden vor diesen Portraits wohl nicht fallen. D.h. aber nicht, dass wir uns in diesen Bildern nicht wieder erkennen können.
“shots“: Was ist hierbei gewollt und was ist zu sehen? Sternbilder? Stimmt es, dass hier Bildwelten zerstört werden? Um welche Welt handelt es sich denn? Bleiben wir bei dem was wir sehen. Es sind weiße, grundierte Leinwände, die auf nichts anderes gewartet zu haben scheinen, als genau diese Schüsse durch sich hindurch zu lassen, die wir hier allerdings nur noch erahnen können, deren Spuren jedoch nicht zu übersehen sind. Erst jetzt und erst so werden die Schüsse zu einem Bild. Und wer es genau wissen will: ein Hallenser Schützenverein war Ort des Geschehens, an dem im Übrigen scharf geschossen wurde. Die so sichtbare Gewalt verweist zum einen auf den Zustand unserer Welt, in der immer noch versucht wird, mit Gewalt Probleme zu lösen, auf der anderen Seite nimmt Gerhild Ebel hier eine Traditionslinie auf, die u.a. bei Tinguely begann und bei Fontana deutlicheren Ausdruck fand. Nicht zuletzt sind auch die Anschläge auf Kunstwerke in Museen weltweit hier mit zu lesen, deren Spuren allerdings immer wieder, so es denn noch geht, repariert, d.h. gelöscht werden. Und was hat das mit Kokoschka zu tun? Der hatte sich 1920 nach einigen Scharmützeln zwischen Kapp-Putschisten und organisierter Gegnerschaft auf einem plakatierten Appell „An die Einwohner Dresdens“ gegen die Kampfhandlungen vor der Zwingergalerie gewandt. Ein Querschläger hatte zuvor ein Bild getroffen. Der Künstler meinte, man möge doch solche Auseinandersetzungen, wenn schon, dann doch aber an anderer Stelle ausfechten, der Kunst zuliebe. Die Kunstlump-Debatte war die Folge und sein Verhalten der deutlichste Hinweis auf die Spaltung von Kunst und Gesellschaft und somit vom Ende der Vorreiterrolle des Expressionismus damals.
So hier nicht. Hier ist genau dies erwünscht, wird dieser Akt inszeniert. Die Resultate bleiben mehrdeutig und merkwürdig. Nicht nur das ich auch an das Firmament denken musste, macht sie auf ihre Weise schön.
“to the nation“: Die Leere als Bildprinzip. Wir stehen da und sehen nichts. Schon das stimmt so nicht. Wir ahnen einen Text, können aber diesen nicht entziffern. Uns fehlen Informationen. Wir sehen nur die Satzzeichen. Es handelt sich um die Rede an die Nation von Präsident George W. Bush, gehalten am 17. März 2003, kurz vor Beginn des Irak-Krieges. Der Inhalt der Rede wurde ausgelöscht bis auf die Interpunktionszeichen, die mit Cutter aus den Seiten entfernt wurden. Folglich eine Rede an ein Volk von der nichts bleibt als ein Teil der Grammatik. Eine Hülse. Selbst diese ein Missbrauch – ein tödlicher, wie wir wissen. Und dieser ist um so kälter, wenn man hinzufügt, dass der Präsident der sie aussprach, sich um den eigenen Kriegsdienst in seiner Jugend, dank guter Verbindungen, erfolgreich gedrückt hatte. Diese Arbeit gehört zu einer Reihe politischer Arbeiten der letzten Jahre wie “fine war“; “the labyrinth connection“; „links & rechts”, die auch als Bücher oder Mappenwerke existieren.
Kennen Sie das? Das Verfertigen der Gedanken beim Schreiben. Konkret: ich wusste nicht, als ich diesen Text begann, was am Ende herauskommen wird. Manche Einsicht entsteht tatsächlich erst beim Schreiben. Die Arbeiten Gerhild Ebels entstehen aber auf anderen Wegen. Sie weiß sehr genau was sie will. Die Idee, die ästhetische Lösung bis hin zur Präsentation sind sehr genau kalkuliert. Das erzeugt eine Strenge, aber auch eine gewisse Transparenz. Die Wahrnehmung allerdings, das drei Menschen klüger seien als zwei (in Abwandlung zu Heiner Müller), oder anders gesagt, das zehn Menschen das gleiche Objekt sehen aber zehn verschiedene Geschichten im Anschluss darüber zu erzählen wissen, ist nur schwer zu kalkulieren. Wir werden also miteinander reden müssen. Darauf bin ich gespannt.
Uwe Warnke, Berlin, den 05.10.2007, Rede zur Eröffnung von Gerhild Ebels Ausstellung „shots“ im projektraum: alte feuerwache, Berlin.