Cornelia Groß – Komplexe Wirklichkeiten

Vor den Arbeiten von Cornelia Groß sind wir berührt und irritiert, erfreuen uns und sind zum Mitdenken aufgefordert, lesen in der Erfahrungswelt einer Künstlerin, erkennen aber zugleich uns: die vermaledeiten Illusionen, unsere Bedingtheiten, Ängste. Ein Stück weit ist es eine aufklärerische Geste, die ihr bei der künstlerischen Bewältigung der Welt zum Vorschein kommt, auf die sei es vordergründig nicht anlegt, die ihr schlicht passiert. Ein Resultat, dem wir folgen können, wenn sich Denken mit Genießen verbindet.

So geschieht es wohl immer, wenn etwas von Belang ist. Einfacher wird es nicht. Die Dinge sind komplex.

Eine Bewegung durch unsere Welt. Zwischenstopps an wechselnden Schauplätzen. Bewusst gewählt und nicht zufällig. Kein Bebildern von Tagespolitik. Die Zusammenhänge zeigen die Vielfalt im Widerspruch. Das ist das Leben.

„Warum bin ich nicht darauf gekommen?“ oder „Ach, diese Birken!“ Solche und ähnliche Sätze können schon mal beim Durchblättern eines oder mehrerer neuer Malerbücher von Cornelia Groß, anerkennend und durchaus neidvoll, von Malerkollegen, auch älteren, fallen. Dies geschieht meistens bei mir zu hause in Vorbereitung einer anstehenden Messe. Ich soll die Bücher an den Mann oder an die Frau bringen, gern auch in einer Sammlung platzieren – natürlich. So landen die großen und kleinen Bücher einer ausgewählten Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern bei mir. Selten, dass sich die Künstler dabei begegnen, dafür aber umso mehr und stellvertretend ihre Bücher. So nimmt man Entwicklungen zur Kenntnis, erfreut sich an den Lösungen der anderen, erfährt aber auch die Anerkennung und den Respekt der Kollegen. Denn solche Sätze verhallen nicht wie ungesagt in privaten Räumen: „Wie macht sie das nur?“

Einzeller, Mehrzeller, Bakterien, Insekten, Kriechtiere – gehören diese nicht zu Jenem, was uns immer wieder erstaunen lässt? Was wir zu kennen glauben, dem wir aber, aufs Neue verblüfft und fast in Versenkung, unsere Aufmerksamkeit schenken? Warum ist das so? Was interessiert uns an primitivem Leben. Moment, finden wir da nicht hochgradige Spezialisierung, also Anpassung? Was ist in jener moralfreien Welt komplex und was primitiv? Klaus Staeck, der Präsident der Akademie der Künste, sagte Montagnacht in einem Fernsehinterview, dass er in solchem Tun Ruhe fände, also im Wald beim Beobachten z.B. eines Käfers; es brächte ihm auch das Einordnen unserer ach so wichtigen Tagesprobleme ins notwendige Maß. Der eigene auch bescheidene Platz würde dann wieder deutlicher. So Staeck.

Die Welt der Bücher Cornelia Groß’ und auch die ihrer zahlreichen Bilder zeigt uns häufig eine verletzte, nicht mehr ganz zusammen passende, aus den Fugen geratene Welt. Da gibt es diese mosaikartigen Gebilde, die ein Nebeneinander von Welten zeigen, auch das Disparate, das Nicht-zusammen-Gehörende, das die Künstlerin nicht kaschiert, sondern wie an Fäden noch gerade zusammen hält. So, als gäbe es noch eine Chance, als wäre Erste Hilfe noch möglich. Auf der anderen Seite ist da die Methode mit Mitteln des Fragmentarischen zu arbeiten. — Ist das Unfertige schon das Eingeständnis, dass es nicht mehr lohne? Etwas nicht endgültig auszuführen bedeutet aber auch, etwas offen zu lassen – auf einen ungewissen eventuell aber auch positiven Ausgang hin. Auszuschließen ist das nicht.

Dabei sind die verwendeten Materialien ihr alle gleich wert, gleich wichtig. Da wird mit Acryl und Tusche gemalt, es kann aber auch mal Alkydharz auftauchen, Buntstifte, Bleistifte, Faserschreiber – alles geht. Spontaneität in der Mittelwahl, die nicht vordergründig auf einen Effekt aus ist. Es ist ihr alles gleichberechtigt. Da wird mit Pappen überklebt, werden Folien angetuckert. Schließlich beginnen Teile sich zu bewegen, werden benutzbar, herausnehmbar usw. Die Fläche scheint ihr da nicht mehr zu reichen. Das dann nebenher auch Objekte entstehen, ist nur noch folgerichtig. Mit dem Schritt in die dritte Dimension taucht bei ihr so etwas wie Satire auf. Sie selber spricht von Szenen. Dort gibt es etwas zu entdecken, durchaus auch etwas zu schmunzeln. Wer über sich selber lachen kann, findet hier vielleicht sein Gegenüber. Selbstironie als eine mögliche Welthaltung.

Kontemplation, das wundert uns nun nicht mehr, ist der Künstlerin zu wenig. Ein Nur-versenken entspräche nicht ihrer Haltung, wird absichtsvoll nicht bedient, ist hier nicht zu haben. Gesucht wird eine Auseinandersetzung, gelegentlich auch Konfrontation. Dabei bleibt sie immer einem Realismus verpflichtet.

Nicht selten holt sie sich, aus Lust und Freude am Kennen lernen und Ausdeuten aber auch zur Unterstützung eigener Positionen, Texte von zeitgenössischen Dichterinnen und Dichtern ins Bild, ins Buch, ins Objekt. Damit gibt es dann für uns Betrachter kein Ausweichen mehr. Der Text erweitert auf der einen Seite den Kosmos des Bildes und der Bildbetrachtung, nimmt uns aber auch an die Hand, führt uns ein wenig; zumindest ein Stück. Doch denken und genießen müssen wir selbst.

Uwe Warnke, Berlin 2010